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Kultur: Sei politischer!

Andrea Breth inszeniert Tennessee Williams’ „Katze auf dem heißen Blechdach“ in Wien

Es ist der Herbst der Ehekriege. Vor zwei Wochen erst hatte Jürgen Gosch am Deutschen Theater Berlin Corinna Harfouch und Ulrich Matthes aufeinandergehetzt, als ebenbürtiges, in heißkalter Hassliebe verbundenes Paar in Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Nun sind es Johanna Wokalek und Markus Meyer in Andrea Breths Inszenierung von Tennessee Williams’ „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ am Wiener Burgtheater, und die Mechanismen der Quälerei sind nicht weniger perfide. Nur sind die Kräfte ungleicher verteilt: Alle Last, alle Kür liegen bei Johanna Wokalek. Ihr langer Monolog, den ganzen ersten Akt: ein grandioses Solo mit stillem Zuhörer. Danach könnte das Stück auch zu Ende sein.

Diese Maggie flattert wie eine Motte um ihren Brick, kommt ihm zu nahe, verbrennt sich, taumelt weiter, ein Seiltanz zwischen Hysterie und Resignation, und das Seil, auf dem sie tanzt, sind ihre Nerven. Eine schmale, dünnhäutige Figur im durchsichtigen Fähnchen, der man in jeder Minute den Kraftakt ansieht. Keine Spur von der Vitalität einer Elisabeth Taylor, an der sich immer noch jede Maggie messen muss. Johanna Wokaleks Maggie ist eher eine heutige Nora, Thomas Ostermeiers Schaubühnen-Inszenierung entsprungen, mit der der Abend ohnehin viel gemein hat: Aufsteigerfiguren, Luxusweibchen sind sie beide, getrieben von der Angst, dass da noch einmal Elend und Abstieg kommen könnten. „Arm oder Alt, nur eins von beiden geht. Beides zusammen ist schrecklich“, sagt Maggie einmal, und Nora hätte ihr wahrscheinlich zugestimmt – und weiter heimlich die Schulden abgezahlt.

Frauen von heute, gefangen zwischen Konvention und Karriere, Konsum und der idealen Vorstellung von Familie und Ehe: ein schmerzliches Bild, umso mehr, als die Herren der Schöpfung in beiden Fällen eher Leerstellen sind. Maggies Ehemann Brick, der verbittert und voller Selbstekel dem Alkohol Verfallene: bei Markus Meyer ist er ein stummer Klotz, die leere Mitte, einer, von dem nichts kommt. Annette Murschetz’ Bühne: ein Eheschlachtfeld zwischen Bett und Couchgarnitur, ein Glashaus der Schiebetüren und Fensterflächen. Die Steine fliegen nur so durch die Gegend. Schnell hat man das etwas biedere Interieur vergessen, schnell auch die peinliche Südstaaten-Reminiszenz mit schwarzen Bediensteten und amerikanischer Flagge auf der Geburtstagstorte: Sobald Maggie und Brick die Waffen zücken, ist die Inszenierung klar, wach und von heute.

Das gilt leider nicht für den zweiten Teil des Abends. Auch hier ein grandioser Monolog, der zum heimlichen Solo wird: Gert Voss ist Big Daddy, der massige, dem Tod geweihte Familienpatriarch, der noch einmal, viel zu spät, den Versuch unternimmt, alles zusammenzufügen. Ein grantiger Charakterkopf, einer, der sich so lange wiederholt, bis er Recht bekommt – oder alle nachgeben. Den großen Schlussauftritt gönnt Andrea Breth ihm nicht mehr. Doch sein Gespräch mit Brick, diese ganze Diskussion um Lüge und Wahrheit – da merkt man doch, dass Tennessee Williams in die Jahre gekommen ist, dass diese Form der moralischen Selbstkasteiung einem anderen Zeitalter entspricht. Markus Meyers Brick nämlich mutiert zur selbstmitleidigen Christusfigur. Das aber, woran er leidet, seine uneingestandene Homosexualität, ist längst nicht mehr – wie noch bei Paul Newman – ein Vergehen gegen die „Reinheit“.

Konflikte aus uralten Zeiten. Albee und Williams, zweimal Amerika der späten Fünfziger-, frühen Sechzigerjahre: Warum gerade jetzt, das wäre eine Frage, die man angesichts der plötzlichen Spielplanhäufung gern gestellt hätte. Was diese Südstaaten mit dem Amerika von heute zu tun haben und was dieses Amerika mit uns – darauf gibt auch Andrea Breth in ihrer psychologisch klugen Art keine Antwort. Dass da einmal eine Amerikaflagge auf dem Kuchen abbrennt, und Big Daddys Lästereien über Europa als „Ramschladen“ voller unnützen Zeugs in heutigen Ohren andere, bittere Untertöne bekommt – dabei bleibt es auch schon. Wie anders hat Frank Castorf reagiert, als er mit „Forever Young“ und „Endstation Amerika“ zweimal Tennessee Williams auf die Bühne brachte und seine Inszenierungen zum Seelenstriptease über Glaube und Gott, Liebe und Fremde machte. Da lag Amerika plötzlich in Polen und auch Florida war uns nah.

An der Burg gehört die Bühne am Ende noch einmal den Frauen. Sabine Haupt als nervige, dauergebärende Schwägerin – eine Kabarett-Paradenummer. Elisabeth Orth als Big Mammy, mit Gert Voss ein zärtliches Paar voll grantiger Altersliebe, Duldung, Nachsicht und schönem Humor. Doch am Ende kehren sich die Verhältnisse um, wagt Maggie, wie Nora, den Ausbruch – und gewinnt. Ja, die Frauen haben es gut bei Andrea Breth. Sie dürften nur etwas politischer werden.

Christina Tilmann

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