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Kultur: Seid umschlungen, Millionen

Mstislaw Rostropowitsch zum 80. Geburtstag

Es ist eine schöne Pointe, dass sich Mstislaw Rostropowitsch für das Jahr 2007, in dem er 80 wird, genau 80 Auftritte vorgenommen hatte. Leider vereitelte eine dringende Leberoperation den Plan. Zwar kann der Cellist an dem Empfang im Kreml teilnehmen, den ihm der russische Präsident Wladimir Putin zum heutigen Geburtstag ausrichtet – doch alle Konzerte musste er bis auf weiteres absagen.

„Slawa“, wie Mstislaw Rostropowitsch allgemein genannt wird, bedeutet auf Russisch „Ruhm“ – und diesen erwarb sich der am 27. März 1927 in Baku am Kaspischen Meer geborene Musiker scheinbar ohne alle Mühen. Mit zwölf kam er ans Moskauer Konservatorium, studierte bei seinem Onkel Semyon Kozopulow (Cello) sowie bei Wissarion Schebal (Komposition) und Dmitri Schostakowitsch (Instrumentation). Er war ehrgeizig und diszipliniert, übte mit eisernem Willen und unbändiger Energie. In kalten Wintern habe er sich, so erzählt er später, die Kuppen von den Wollhandschuhen abgeschnitten, um überhaupt üben zu können. Der Lohn: eine der größten künstlerischen Karrieren im Nachkriegsrussland.

Spätestens seit der Hochzeit mit der Sopranistin Galina Wischnewskaja vom Moskauer Bolschoi-Theater 1955 gehörte das Paar zur Elite des Landes. Im April 1956 gastierte Rostropowitsch – als dritter sowjetischer Solist nach dem Zweiten Weltkrieg – erstmals in der New Yorker Carnegie Hall, 1964 trat er in West-Berlin auf. Doch er widersetzte sich auch dem System: 1969 brachte er Alexander Solschenizyn, der gerade aus dem Schriftstellerverband der UdSSR ausgeschlossen worden war, in seiner Datscha unter. Eine humane Geste, die die Sowjets zu unterbinden versuchten. Er weigerte sich und schrieb stattdessen 1970 – Solschenizyn hatte inzwischen den Nobelpreis erhalten – jenes „moralische Bekenntnis“ zu seinem Freund und zur Freiheit der Kunst, das ihm die Mächtigen nicht verziehen. Rostropowitsch wurde als Dirigent am Bolschoi-Theater entlassen, die Regierung verhinderte Auslandstourneen und Plattenaufnahmen. Dank des Einsatzes von Leonard Bernstein und US-Senator Edward Kennedy durfte er mit Frau und Kindern 1974 die UdSSR verlassen. Vier Jahre später wurde ihm die russische Staatsbürgerschaft aberkannt. Doch er kehrt zurück, als Dirigent, zwölf Jahre später, mit dem National Symphony Orchestra Washington, nach Moskau und Leningrad. 1991 demonstriert er auf dem Roten Platz für Michail Gorbatschow und erlebt dort „die drei schönsten Tage meines Lebens“. Unvergessen bleibt Rostropowitschs spontanes Berliner Straßenkonzert nach dem Mauerfall, am 11. November 1989 am Checkpoint Charlie.

Bei kaum einem anderen ist die Musik so eng mit dem Leben verknüpft wie bei Rostropowitsch. „Er interpretiert nicht, er fühlt. Er dirigiert sein Leben“, befand sein Dirigentenkollege Seiji Ozawa. Immer wieder inspirierte Slawa Komponisten zu neuen Werken. 120 Stücke hat er nach eigenen Angaben uraufgeführt. Im Mai 2005 spielte er in Wien erstmals Krzysztof Pendereckis Largo für Violoncello und Orchester. Es war sein – bislang – letzter öffentlicher Auftritt als Cellist. Höchst aktiv ist er dagegen als Dirigent. Seiner eigenen Defizite als Orchesterleiter war sich der Autodidakt dabei stets bewusst – ohne sich je von der Kritik beirren zu lassen.

Wenn er frei hat, empfängt Rostropowitsch in einer seiner sechs Wohnungen, umgeben von Kostbarkeiten aus dem vorrevolutionären Russland, seine Freunde. Von denen hat er, wie einer von ihnen einmal feststellte, mehr, als Noten in den Cello-Solosuiten von Bach stehen.

Maren Soehring

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