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Kultur: Sektlaune

Thielemann dirigiert Verdi bei den Philharmonikern.

Traditionen zwingen selbst die stärksten Individuen in die Knie. Wer hätte den großen Verdi dazu bewegen können, in seine Musikdramen „Macbeth“, „Don Carlos“ oder „Otello“ Balletteinlagen einzufügen – und zwar stets im dritten Akt? Allein die Konventionen in der selbst ernannten Welthauptstadt der Musik, Paris. Obwohl überhaupt kein Ballettkomponist, zog sich Verdi durchaus mit Geschmack aus der Affäre. Wenn Christian Thielemann die Tanzeinwürfe zu seinem Verdi- Debüt bei den Berliner Philharmonikern dirigiert, fühlt man sich flugs ins Silvesterkonzert vordatiert. Der Maestro schlenkert in Sektlaune mit den Beinen und man nimmt alles nicht so schwer, was da durchs Orchester irrlichtert. Dabei überhört man leicht, dass sich auch hinter Thielemanns Paradiergestus die Sehnsucht nach mehr Zartheit verbirgt, nach durchlässigeren Seelenklängen.

Fündig wird er vor allem im ersten Teil dieses disparaten Abends, bei den „Quattro pezzi sacri“. Giulini hat sie zuletzt vor 22 Jahren in der Philharmonie dirigiert. Die Suchbewegung des bekennenden Agnostikers Verdi, die bis zum Alten Stil Palestrinas zurückreicht, bewegt Thielemann sichtlich. Der prächtige Rundfunkchor Berlin kann sich seiner vollen Zuwendung gewiss sein, a cappella oder im Aufbrausen des Orchesters, das Thielemann zu großer Klarheit anhält, in steter Sorge, es könnte ein allzu weiches Klangruhekissen entstehen. Sibylla Rubens agiert luxuriös als Sopranistin einer einzigen Zeile: „Lass mich nicht zuschanden werden in Ewigkeit“. Wer wollte da widersprechen (noch einmal am heutigen Samstag, 20 Uhr). Ulrich Amling

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