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Selber machen: Ich war ein Fahrradschlauch

Tüftler und Denker: Eine Schau im Museum für Kommunikation feiert die immer stärker wachsende Berliner Do-it-yourself-Szene.

In einem Neuköllner Eckhaus werden die Rollläden hochgezogen. Was zuvor trostlos aussah, entpuppt sich jetzt als das Näh- und Werkstudio „Sieben auf einen Streich“. Darin sortiert Thea Lücke gerade verschiedenfarbige Obst- und Gemüsenetze. Im Rahmen der Ausstellung „Do it yourself – Die Mitmach-Revolution“ im Museum für Kommunikation bietet die Modedesignerin einmal im Monat einen Workshop an. Für den ersten am 29. April werden aus diesen Netzen bunte Blumen. „Das darf dann nicht mehr nach Schrott aussehen“, sagt Lücke. Wenn sie die Netze so verklebt mit zum Workshop nehmen würde, wie sie sie von der Berliner Tafel geschenkt bekommt, würden viele Leute das komisch finden. Also wäscht und sortiert sie das Material.

Für die bereits im Museum für Kommunikation Frankfurt gezeigte Ausstellung hat das Kuratorinnenteam um Annabelle Hornung, Verena Kuni und Tine Nowak Kreative engagiert, die den Großstädtern in Sachen Handwerk unter die Arme greifen. In diversen Kursen können sie lernen, wie man aus kaputten Fahrradschläuchen Taschen macht, aus T-Shirts Schlüpfer, aus Elektroschrott Schmuck oder eben Blumen aus Obstnetzen.

Thea Lücke hat über den Verbund Offener Werkstätten von der Ausstellung erfahren, denn die immer weiter wachsende Bastler-Szene ist gut vernetzt. „Es gibt definitiv eine berlinweite Bewegung. Hier sind so viele Orte, wo die Leute aus Nichts etwas Schönes machen. Ich bin zum Beispiel auch gerne im Prinzessinnengarten am Moritzplatz, wo vorher ja nur ein Schrottplatz war.“ Das alternative Gartenprojekt ist mittlerweile so etwas wie das Aushängeschild der Berliner Selbstmachbewegung geworden. Marco Clausen, Mitgründer des Gartens, kommt auch in der Ausstellung zu Wort.

Für den Verkauf sind Thea Lückes Produkte allerdings kaum geeignet. Man kann sich sogar fragen, wer denn ernsthaft eine Plastikblume aus alten Kartoffelnetzen braucht. Das Problem kennt die 45-jährige Initiatorin der Recycle Werkstatt Berlin: „Auf der Karl-Marx-Straße gibt es so viele Billigläden, wo man für einen Euro Plastikschmuck kaufen kann. Da fragen sich die Leute schon, warum sie das selber machen sollen. Und Schrott basteln? Igitt, nee!“ Aber die Blume ist nur der Anfang. Das „DIY-Gen“ steckt in vielen Tüftlern, Erfindern und Bloggern. Die Ausstellung spiegelt das in den Bereichen Hobby, Arbeit, Gegenkulturen, Wissen und Medien.

Der Begriff „do it yourself“ (kurz: DIY) taucht erstmals 1912 in der Zeitschrift „Suburban Life“ auf – mit dem Hinweis, man könne seine Wände selbst streichen, anstatt einen Maler anzuheuern. So verändert sich mit dem Gedanken des DIY auch der Anspruch. Bilder und Berichte vom Tahrir-Platz in Kairo gab es beispielsweise fast in Echtzeit – aufgenommen von den Demonstrierenden. Die Reporter der etablierten Medien mussten sich mächtig ins Zeug legen, wenn sie mehr über die Ereignisse erzählen wollten, als die Web-Nutzer sowieso schon wussten.

So wird das Selbermachen zur Selbstermächtigung, zum Protest. Die Ausstellung zeigt Fanmagazine, die im Kontrast zu den Hochglanzblättchen des Boulevards stehen, aber auch konkrete politische Protestformen wie das Puddingattentat der Kommune 1 oder die Frauen der Küchenbrigade, die mit selbst gemachten Kuchen die Protestler der Startbahn West in Frankfurt unterstützten. Die Hippie-, Punk- oder Riot-Grrrl-Bewegungen standen stark im Zeichen des DIY. Ob Kleidung, Essen oder Zeitschriften, für alles suchten die Outsider eigene Produktionsweisen. Dahinter steht der Gedanke, sich dem kapitalistischen Konsumkreislauf zu entziehen. Sogar das Stricken kann so zum subversiven Instrument werden, wenn etwa das Kommando Agnes Richter bei den Occupy-Protesten den Frankfurter Börsenplatz umfädelt.

Thea Lücke würde sich nicht als politisch bezeichnen, aber sie ist es doch: „Ich habe diese Bilder im Kopf, wie tonnenweise Plastik und Müll in den Meeren schwimmt und Vögel sterben, weil sie das Plastik fressen. Wenn ich dagegen etwas tun kann, bin ich dabei!“ Und sie hofft, dass Aktionen wie die Müllvermeidungskampagne „Trenntwende“ in Berlin nicht nur Modeerscheinungen sind.

Gibt es bei so viel Bastelei überhaupt noch Sachen, die sich die Schneiderin lieber kauft? „Ich nähe nichts für mich. Ich brauche doppelt und dreifach vernähte, robuste Arbeitsklamotten. Die kaufe ich besser“, sagt Lücke. DIY heißt nicht, alles selbst zu machen und so letztlich ausgebildeten Fachkräften die Arbeit wegzunehmen. Vielmehr geht es um das Wiedererlernen handwerklicher Produktionsmethoden.

Welcher Selbermach-Typ man ist, lässt sich an einem – natürlich selbst gebauten – Automaten in der Ausstellung herausfinden oder in einem Workshop. Thea Lücke, die in ihrem Freundeskreis als „Basteltante“ bekannt ist, freut sich besonders auf ihre Anleitung für Schmuck aus Elektroschrott, die sie zusammen mit dem Industriesalon Schöneweide anbietet. Vor ein paar Jahren hatte die Dokumentarfilmerin Susanne Reumschüssel das ehemalige Werk für Fernsehelektronik besucht und einen Verein gegründet, als der dort gesammelte Elektroschrott aus DDR-Zeiten entsorgt werden sollte. Am 27. April eröffnet nun der Industriesalon und reiht sich in das wachsende Netzwerk der Berliner DIY- Bewegung ein. Ein Netzwerk, in das sich auch Thea Lücke verstrickt hat: „Hier geht alles. Wir brauchen kaum Geld – wir brauchen nur eine gute Idee und Leute, die mitmachen.“

„Do it yourself. Die Mitmach-Revolution“, bis 2. September im Museum für Kommunikation Berlin, Leipziger Str. 16, Di 9-20 Uhr, Mi-Fr 9-17 Uhr, Sa/So u. Feiertage 10-18 Uhr, www.diy-ausstellung.de

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