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Von den Göttern gestraft. Sopranistin Nicole Chevalier als Königstochter Semele mit Allan Clayton als Jupiter.

© Wolfgang Kumm/dpa

„Semele“ an der Komischen Oper: Feuer glüht im Adlernest

Götterkunde und Slapstick: Intendant Barrie Kosky inszeniert Händels Oratorium „Semele“ an der Komischen Oper.

Wen die Theatergötter lieben, dem muten sie plötzliche Prüfungen zu, die daran erinnern, dass selbst auf der jahrelang vorausplanenden Opernbühne alles im Augenblick leben und sich bewähren muss. Gleich zwei Neuproduktionen der Komischen Oper wurden unmittelbar vor Probenbeginn von Unglück und Krankheit getroffen. Die eine musste verschoben werden, die andere übernahm über Nacht ein neuer Regisseur. Beide Male war es Intendant Barrie Kosky, der dafür sorgte, dass dennoch der Vorhang in der Behrenstraße hochgeht, als Begleiter jiddischer Lieder am Klavier oder jetzt als Regie-Einspringer bei Händels Oratorium „Semele“.

Doch vollends besänftigt zeigten sich die Theatergötter damit noch nicht. Ein Virus droht, der Hauptdarstellerin Nicole Chevalier kurz vor der Premiere die Stimme zu rauben. Wieder muss blitzschnell ein Sicherheitsnetz geknüpft werden, zum Glück war Heidi Stober gerade in der Stadt, die die seltene Partie unlängst in England gesungen hat. Sie sitzt im Orchestergraben bereit, um Semele jederzeit ihre Stimme leihen zu können.

Mythen und Metamorphosen

Fünf Wochen hat das Ensemble zusammen geprobt, entgegen Koskys Art ohne ein zuvor detailliert ausgearbeitetes Konzept. Doch die Struktur von Händels Oratorien ist dem Regisseur vertraut, und sein Haus traut ihm. Das bereits fertige Bühnenbild von Natacha Le Guen de Kerneizon, das ein ausgebranntes Gemach herrschaftlichen Zuschnitts zeigt, lässt Kosky noch weiter verkohlen, bis von den Sesseln nur mehr Gerippe übrig sind und der Raum vollends seine realistische Ausstrahlung einbüßt. Denn hier, umgeben vom alles dominierenden Ruß, wo Semele einem noch sacht rauchenden Aschehügel entsteigt, soll es um Erinnerungen gehen – und es sind keine angenehmen. Kosky macht sich dabei zunutze, dass Händel in „Semele“ das starre Muster der Opera seria überwindet und ein weltliches Oratorium schafft, in dem die Musik umfassend klingendes Drama wird. Eines von dunklem Klang, der über alle komischen und frivolen Wendungen wehmütig triumphiert. Dirigent Konrad Junghänel, der erneut mit dem Orchester der Komischen Oper eine Barockproduktion erarbeitet, findet einen gut befestigten Weg durch drei Stunden Musik.

Die Geschichte von Semele hat Ovid in seinen Metamorphosen festgehalten: Die Königstochter, eine Geliebte Jupiters, wird am Tage ihrer erzwungenen Heirat von Gottvater in Gestalt eines Adlers entführt. In einem schwerbewachten Nest turteln die beiden, bis Gattin Juno der Rachekamm schwillt. Der schwer an der Kehrseite der Liebe tragenden Semele, von Einsamkeit und Verlassensängsten geplagt, pflanzt sie den Wunsch ein, Jupiter in seiner wahren Götterpracht sehen zu wollen und so selbst Unsterblichkeit zu erlangen. Semele, die in allgemeiner Götterkunde geschwänzt haben muss, fällt darauf herein und stirbt im alles verzehrenden Flammenmeer. Der traurige Gott fügt sich seinem Schicksal, hütet allerdings das gemeinsame ungeborene Kind, das, so will es der Mythos, einmal als Bacchus für Furore sorgen wird. In Koskys Kohlenkammerspiel darf sich der Slapstick ungehemmt übers Heiraten hermachen. Einen tölpelhafteren Bräutigam als Athamas (um Präsenz ringend: Countertenor Eric Jurenas) hat man selten gesehen. Ist das nur Zerstreutheit oder ahnt da jemand, dass ihn Juno ins Verderben reißen wird, irgendwann, wenn die Handlung von „Semele“ längst zu Ende ist?

Wunsch nach Unsterblichkeit

Jupiter raubt seine Geliebte durch den Kamin, nur ihr Schleier bleibt auf den versengten Brettern zurück. Immer wieder dröhnt Donnern aus den Lautsprechern. Dabei ist Koskys Jupiter ein zärtlicher, naturgemäß häufig abwesender Liebender, der bald spürt, dass die Schwerkraft auch über dieses zauberhafte Begehren kommen wird. Ich und die Liebe sind eins, versucht er Semele zu beruhigen – Allan Clayton singt das mit viel Gespür, auch bei den Tönen, die er nur anzutippen vermag. Bei seiner Arie „Where’er you walk“ steht Semele auf seinen Füßen, und die Poesie der Liebe scheint noch einmal die Liebe selbst zu sein.

Nach der Pause muss dann jemand das Arbeitslicht eingeschaltet haben, es gleißt trostlos, strenge Choreografie übernimmt das Regiment. Semeles Verlassenheit verdichtet sich in Nicole Chevaliers bewegender Darstellung zu schierer Unerträglichkeit. Dass sie sich mit wahnhaftem Eifer in den Wunsch nach Unsterblichkeit wirft, muss man ihr glauben – einfach, weil das kein Leben ist, in dieser ausgebrannten Höhle, die mal Liebeszuflucht war. Jupiter fühlt das unausweichliche Ende nahen, die ihre musikalischen Verzierungen durchschneidende Juno von Ezgi Kutlu jubiliert ungehemmt hysterisch. Dann gelingt Kosky auch ohne Drehbühne ein Drehbühneneffekt: Athamas heiratet nun Semeles Schwester Ino (beinahe zu sanft: Mezzo Katarina Bradic), alles wiederholt sich haargenau, nur Jupiter steht beobachtend am Rand. Kein Adler diesmal.

Kosky zitiert Oscar Wilde

Ganz am Ende träumen die fulminanten Chorsolisten der Komischen Oper von einem Gott, der stärker als der unberechenbare Amor sein soll. Aus Semeles Asche werde sich Bacchus wie Phönix erheben, und sein Wein heilt als reines Gegengift alle Liebeskranken. Dass diesem Wunschdenken die erhoffte Wirkung folgt, scheint angesichts der Katerstimmung, die Koskys „Semele“-Lesart verbreitet, doch fraglich. „Wen die Götter strafen wollen, dem erfüllen sie seine Wünsche“, zitiert der Regisseur kokett Oscar Wilde im Programmheft. Kosky jedenfalls hat die Theatergötter an der Komischen Oper befrieden können und das Publikum mit jenem Quantum Widerspruchswillen entlassen, das unabdingbar ist, wenn es um die Liebe geht.

Weitere Aufführungen am 18. und 26.5., am 3. und 15.6. sowie am 10.7.

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