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Kultur: Señor Coconut: Kraftwerk meets Salsa

Herr Kokosnuss heißt eigentlich Uwe Schmidt. Aber Herr Kokosnuss hat viele Namen.

Herr Kokosnuss heißt eigentlich Uwe Schmidt. Aber Herr Kokosnuss hat viele Namen. Für jedes Projekt ein neues Pseudonym. Manchmal nennt er sich auch "The Bitniks", "Lisa Carbon Trio" oder "Atom Heart". Unter letzterem Namen veröffentlichte er in Frankfurt Techno. Doch Herr Kokosnuss hatte nicht nur vom Techno genug, sondern auch von Frankfurt. Zur Zeit lebt er in Chile. Dort hat er seine bislang lustigste Travestie ersonnen. Herr Kokosnuss hat die Musik von Kraftwerk und die Musik Lateinamerikas zusammengebracht. "Trans Europe Express" als Cumbia, "Autobahn" als Merengue mit Akkordeon. Selbst geübten Ohren entgeht beim ersten Hören, dass Herr Kokosnuss diesen vorzüglichen Scherzartikel allein im Studio mit Keyboards und Computern eingespielt hat. Nun aber hat Herr Kokosnuss den Spaß noch eine entscheidende Drehung weiter getrieben und eine Live-Band zusammengestellt: ein beinahe klassisches Latin-Oktett mit Percussion, Standbass, Bläsern und Vibraphon.

Als die Musiker in Berlin gegen ein Uhr nachts die Bühne im Maria am Ostbahnhof entern, sind die Zuschauer nicht gerade in Salsa-Laune. Drei Stunden sind sie von lokalem DJ-Nachwuchs mit fraktalem Experimental-Drum & Bass gefoltert worden. Und auch die Band muss sich noch an ihre Betriebstemperatur herantasten. Es ist ihr zweiter Auftritt überhaupt. Der Opener "Showroom Dummies", ein eleganter Cha-Cha-Cha, erinnert noch ein wenig an Tanztee im Seniorenstift. Doch allmählich werden die Handgelenke locker. Nun reiht sich Nuss an Nuss. Sänger Agenis Brito und die Combo sind schließlich nicht gekommen, um rumzustehen wie die Roboter. Sie holen das wahre Wesen von Kraftwerk ans Licht: Die reservierten Düsseldorfer haben vermutlich immer davon geträumt, eine Blume am Revers zu tragen und mit den Hüften zu wackeln. Sie konnten nur nicht richtig aus sich heraus. Herr Kokosnuss und seine Band könnten da helfen. Ist es nicht eine unwiderstehlich komische Idee, das Schnaufen des "Trance Europe Express", von Kraftwerk mit einem besonders kühlen Flanging-Effekt belegt, mit diversen Shakern zu spielen? Ist es nicht entzückend, dass "Autobahn" spanisch ausgesprochen nach "Autowahn" klingt?

Nach gut einer Stunde ist die Band, die im Studio als Simulation einer Band begann, im echten Leben angekommen. Doch da ist leider schon Schluss. Erste und einzige Zugabe: eine Salsa-Version von "Expo 2000", der einzigen Kraftwerk-Neukomposition der letzten Jahre. Schamlos tanzbar hingeschmettert. Aber wer mag zu diesem Refrain schon tanzen?

Ralph Geisenhanslüke

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