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Kultur: Sex zieht immer

Herr Lüdecke, Comedy lebt. Ist das Kabarett tot?

Herr Lüdecke, Comedy lebt. Ist das Kabarett tot?

Das Kabarett war immer tot und immer im Kommen. Kabarett hat sehr starke regionale Verwurzelungen. Comedy dagegen lässt sich besser im Fernsehen verwerten.

Wie steht es um das Berliner Kabarett?

Kabarett in Berlin ist eine irreale Zone. Berlin lebt von seinem Ruf - aber Kabarettisten aus Berlin gibt es kaum noch. Ich schreibe auf meine Plakate immer „Kabarett aus Berlin". Dann denken die in Bad Salzdetfurth: Hey, aus Berlin, das muss gut sein! Dabei: in Berlin wird Kabarett kein bisschen gefördert. Ich kenne Städte, in denen die Sender jeden Tag irgendwas Satirisches bringen. In Berlin muss man sich durch die Theater nach oben spielen. Das schaffen ein paar. Der Rest bleibt hängen.

War früher alles besser?

Nicht besser, anders. Witziger als heute, wo alles witzig sein will. Ich bin 40 geworden. Als ich neulich in einem Supermarkt Musik hörte, die mir gefiel, ist mir aufgegangen, dass ich offenbar in einer Zielgruppe angekommen bin. Die Musik meiner Jugend ist zur Supermakt-Muzak geworden. Und es freut mich auch noch.

Sie könnten zufrieden sein.

Nicht ganz. Was mich stört, ist die Kabarettisierung der Werbung, des Fernsehens. Immer und überall eine Pointe, ein Wortspiel – schauderhaft. Ich sehe mir manchmal Sendungen auf Arte an, nur in der Hoffnung, mal keinen Witz erzählt zu bekommen.

Aber wir wollen doch alle witzig sein.

Ich glaube, wir halten uns nur für zu verkrampft.

Sind Sie der einzige deutsche Kabarettist, der keinen Wert auf Humor legt?

Natürlich nicht. Der nächstliegende Weg zur Pointe ist in der Regel auch der langweiligste. Ich bevorzuge den Umweg. In Kritiken steht dann etwas von „subtilem, intelligentem Humor". So etwas lesen Kabarettisten nicht gerne.

Wieso?

Dann bleiben die Zuschauer weg.

Warum stehen Sie auf der Bühne?

Weil ich ein moralischer Mensch bin. Darf man das sagen?

Sie dürfen hier fast alles sagen.

Hat nicht Kunst etwas mit Moral zu tun? Das hab ich doch mal irgendwo gelesen.

Bestimmt. Das steht bei Adorno.

Es ist immer einfacher, keine Moral zu haben, als mit einem moralischen Thema auf die Bühne zu gehen. Es ist einfacher, keine Haltung einzunehmen.

Die Folgen der Spaßgesellschaft?

Ganz sicher. Für mein Empfinden beschäftigt sich das Kabarett heute viel zu sehr mit Randerscheinungen. Also Viagra, RTL II und Jenny Elvers. Das ist ein Ergebnis der kultivierten Trivialisierung der letzten Jahre. Dabei sind die Fragen der Moral viel zu spannend, um sie Ulrich Wickert zu überlassen.

Sie beschäftigen sich also noch mit Inhalten.

Was ich für mich in Anspruch nehme: Es gibt etwas zu entdecken in dem, was ich mache.

Der Kabarettist als Entdeckungsreisender.

In meinem „Bilanz“-Programm bin ich das. Da reise ich durch vier Jahrzehnte: beginne mit den Sechzigern und frage mich, ob die Tiefkühltruhe eine Erfindung des Kalten Krieges war, und ende im Heute, wo der Hausmeister zum Facility Manager mutiert. Es ist eine sehr persönliche Tour de Force: die deutsche Geschichte im Zeitraffer .

Was machen Sie denn, wenn Ihnen das Publikum zu entgleiten droht?

Man setzt auf die Verklemmtheit des Publikums. Sex zieht immer. Oder -dropping. Die Leute glauben, wenn ein bekannter Name im Kabarett fällt, dann ist das lustig. Mein Publikum entgleitet mir ständig.

Sind Sie ein erfolgreicher Kabarettist?

Wann ist man ein erfolgreicher Kabarettist?

Wenn man viel Geld verdient.

Aha. Erfolg ist, wenn man viel Geld verdient.

Ist es nicht so?

Ich hab viele Preise gewonnen.

Wir fragten nach Geld.

Richtig. Das war die Frage. Tja... ich verdiene schon viel Geld. Glaub ich. Aber was ist viel?

Also gut. Hat Sie schon mal etwas von der Bühne getrieben?

Bisher noch nicht. Aber ich bin manchmal überrascht, welchen Mut manche Menschen im Publikum haben, einen Mut, den ich nie hätte. Als ich einmal im Düsseldorfer Kommödchen spielte, ist mitten im Programm ein Mann aufgestanden und hat gerufen: „Kai und Lore Lorentz würden sich im Grabe umdrehen!" So was würde ich mich nie trauen. Gefällt mir aber.

Das Fernsehen ist zum Brötchengeber für viele geworden, die halbwegs schreiben können. Gilt das auch für die Kabarettisten?

Wer zwei vollständige Sätze zusammenbringt, der sollte unbedingt zum Fernsehen. Sie glauben gar nicht, wie viele Autoren gesucht werden. Ich kann gar nicht so viel schreiben, wie ich ablehnen muss.

Muss da nicht der moralische Kabarettist wieder zum Eremiten werden?

Wer Einsamkeit sucht, der wird sie auch finden.

Das Gespräch führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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