zum Hauptinhalt

Kultur: Shoppen und Fischen

Thomas Ostermeier inszeniert „Nora“ mit Anne Tismer an der Berliner Schaubühne

Hier sind auch die Goldfische cool. Schwimmen hinter die Koralle, wenn die Dame des Hauses ein spontanes Bad nimmt , der Hausfreund ins Wasser kotzt und – der Gatte tödlich getroffen ins Aquarium kippt.

Nora erschießt Helmer. Das ist neu. In den gut 120 Jahren seit der Uraufführung des Ibsen’schen Emanzipationsklassikers hat sie ihren Mann immerzu verlassen. Nora, die erste moderne Frau des Theaters. Natürlich ist es denkbar, dass sie bliebe, dass in das „Puppenheim“ eine lebenslange Strindbergsche Ehehölle implodierte. Doch Regisseur Thomas Ostermeier entscheidet sich für den finalen Showdown. Nora feuert das Magazin leer, der Befreiungsschlag macht ihr Lust.

Mehrfach hat sie sich selbst die Pistole an die Schläfe, den Lauf in den Mund gedrückt. Als sie verschwindet, um sich „umzuziehen“, herrscht eine ungeheure Spannung. Alles scheint möglich. Selbstmord? Reißt sie ihre drei Kinder mit in den Tod?

Anne Tismer spielt eine grandiose Frauenrolle. Nein, so viele erniedrigende Rollen sind es, mit denen Nora ihren Helmer bei Laune hält, das „Vögelchen“, die „Schnecke“, das „Naschkätzchen“. Sex, niedliche Perversionen fürs Haushaltsgeld. Ihre Befriedigung holt sie sich beim Shoppen. „Ich habe davon gelebt“, sagt sie am Ende, „dir Kunststücke vorzuführen.“ Da ist sie kalt bis ans Herz, mit glühenden Augen – und man hat ihr doch lange Zeit das biegsame, zwinkernde Weibchen abgenommen. Beängstigend, faszinierend, wie Anne Tismers Körpersprache changiert: mal mondän, mal trotziges Gör. Fürsorgliche Mama, geldgeiles Girlie, Terminator und halb gestorben vor Angst und Scham, panisch-leer der Blick, wie bei einer Medea. Sie kann alles sein zwischen Boulevardkomödie und antiker Tragik – nur nie sie selbst. Anne Tismers Nora gehört zu den stärksten und verstörendsten Schauspielerleistungen dieser Saison, nicht nur in Berlin.

Thomas Ostermeier schafft an der Schaubühne endlich einen Abend, über den sich angemessen streiten lässt. „Nora“, ein Publikumserfolg. Henrik Ibsen wirkt in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel aufgefrischt, aber die Dramaturgie bleibt trotz des Knalleffekts beim Alten. Von wegen Finanzkrise! Jan Pappelbaums Bühne stellt den gesellschaftlichen Ehrgeiz der Helmers üppig aus: eine offene Bauhaus-Architektur über mehrere Etagen, Mies-van-der-Rohe-Möbel, ein farbiges Au-pair-Mädchen (Agnes Lampkin) schafft die Kinder vom Schlachtfeld. Helmer tut sich furchbar wichtig im neuen Job als Bankdirektor. Konferiert ohne Ende mit seinem Handy-Freisprechmikro, geht nie ohne Laptop. Fuchtelt mit der Digital-Kamera herum: Er liebt sein Frauchen, seine Kinder als Bild. Er kann sie nur: besitzen.

Ibsens 19. Jahrhundert im heutigen Outfit: Den Grundwiderspruch löst Ostermeier nicht auf. Man fragt sich schon, weshalb ein New-Economy-Schnösel wie dieser Helmer von Jörg Hartmann wegen Noras kleiner Verfehlung (sie hat vor Jahren für einen Kredit eine Unterschrift gefälscht, um Helmer zu retten) derart rast. Woher dieser Korrektheitswahn, diese Todesangst vor sozialer Bloßstellung, wo Pleiten und Betrug im Aktiengeschäft heute an der Tagesordnung sind und eigentlich zum guten Ton gehören. Was soll die Moral!

Da knirscht es in Ostermeiers gut getimeter Inszenierung, die zwei Stunden ohne Pause dauert. Muss Helmer, statt vielleicht seine E-Mails durchzusehen, wie ein Besessener zum Briefkasten rennen, wo – man weiß doch! – der kompromittierende Schrieb wartet? Mit seiner dräuenden Briefdramaturgie war Ibsen eben noch dicht an Schiller dran. Ostermeier geht überraschend behutsam mit dem traditionellen Gewirke um – und haut dann umso lauter auf den Putz, dreht Rap-Gewummer auf, wenn Nora (sie geht in Lara-Croft-Montur zum Kostümfest) sich den Verstand aus dem Leib tanzt. Pop-Musik illustriert bei Ostermeier oft nur das, was man gerade sieht: am heftigsten im Schlussbild. Die Bühne hat sich gedreht, immer schneller, und Nora hat getötet. Nun steht sie vor der Haustür, draußen, auf Anne Tismers Gesicht sieht man noch einmal das ganze Drama ablaufen. Noch einmal ein Moment, der einem den Atem raubt. Wie sie ihr Nervenkostüm zerreißt, wie sich in ihrer Stummheit Schuld und Katastrophe, Angst und ein Gefühl von unbegreiflicher Freiheit mischen. Leider muss DJ Ostermeier noch eine letzte Platte auflegen und Noras Zustand erklären.

Kann man überhaupt verstehen, was mit der Frau passiert? Acht Jahre verheiratet mit Helmer, dem sie drei Kinder geboren hat, und die meiste Zeit hat die Familie in ärmlichen Verhältnissen gelebt; die schöne Wohnung gab’s später. Warum bloß hat Nora all die Entbehrungen auf sich genommen (und die Urkundenfälschung)? Darauf weiß Ostermeier keine Antwort. Er inszeniert die Männer – alle! – als Rechthaber, Kasper und Heulsusen. Am ärgsten Helmer: Jörg Hartmann müsste ihm irgendwas geben, ein Geheimnis, Anziehungskraft, Charme. Aber nichts! Er ist bloß fies. Flach wie eine Aktentasche.

Der arme Teufel und Intrigant Krogstad, der mit seiner Enthüllungsdrohung alles ins Rollen bringt, findet bei Kay Bartholomäus Schulze im Grunde auch nicht über das Bizarre hinaus. Erst Sadist und Psychopath, nachher in Selbstmitleid zerfließend. Wie auch Doktor Rank, der ständige Gast im Hause Helmer. Er wird (in der Fassung der Schaubühne) an Aids sterben, er hat nicht mehr viel Zeit: Lars Eidinger bewegt sich wie in einem Comic. Verschiedene Filme laufen nebeneinander ab: Noras Leiden, Helmers Protzerei, Ranks Krankheit (er ist doch der Einzige, der am Abgrund steht), Krogstads Rache. Keiner kann mit dem andern reden. Das zeigt Ostermeier plakativ. Allein Jenny Schily, Noras Freundin Christine, kämpft rührend gegen die Totalblockade an.

Was liebte, was suchte Nora in ihrem Mann – seinen Ehrgeiz, die Aussicht auf Geld und Wohlstand? Es sieht anfangs so aus, sie manipuliert ihn nach Belieben. Und da scheint sich das Frauenbefreiungsstück gegen die eigene These von der Unterdrückung zu drehen. Nora will das „Muster-Barbie-Puppenhaus“. Da fühlt sich auch Thomas Ostermeier wohl, immer schon. Da verfeinert er sein Handwerk, immer mehr. In der Kleinfamilie. Im erstickenden Heim. Der Weg von „Nora“ zu „Shoppen und Ficken“ – und umgekehrt – ist kürzer, als man denkt.

Wieder am 28. 11. sowie vom 14. bis 18. 12.

Rüdiger Schaper

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false