zum Hauptinhalt

Kultur: Sicher ist unsicher

Wolfgang Sofsky bekämpft die Diktatur der Angst

„Das goldene Zeitalter der Sicherheit“ nannte der Dichter Charles Péguy die Jahre bis 1914. „Das Zeitalter der Unsicherheit“ – so müsste nach Meinung von Wolfgang Sofsky unsere Epoche heißen. Denn das ist der Grundtenor der Essaysammlung, die der renommierte Historiker, Jahrgang 1952, unter dem Titel „Das Prinzip Sicherheit“ veröffentlicht hat: Eine „Diktatur der Angst“ beherrscht das moderne Dasein und lässt dem Einzelnen nur die Wahl zwischen der negativen, weil wesentlich garantielosen Freiheit der Sozialexistenz und dem rundum sicheren, aber asozialen Dasein des Außenseiters.

Sofsky, dessen 1993 erschienene Habilitationsschrift „Die Ordnung des Terrors“ zum Standardwerk über das KZ-System im Dritten Reich avanciert ist, setzt sich in zwölf Essays mit der radikalen Verunsicherung auseinander, die die postmoderne Mentalität im Zeichen von Terrorismus und drohender Umweltkatastrophe charakterisiert. Die Anschläge vom 11.September 2001 werden ebenso problematisiert wie die prekäre Situation des deutschen Sozialsystems. Als Parallele zitiert der Autor historische Vorläuferereignisse wie das Erdbeben von Lissabon 1755 oder den Börsenkrach 1929.

Die Arbeit changiert zwischen Sozialanthropologie und Gesellschaftskritik. Dass der Autor seinen Freiheitsbegriff einmal der Sozialwissenschaft, einmal der Ontologie entlehnt, wird dabei nicht deutlich. Systematische Dichte erhofft man sich ebenso vergeblich wie definitorische Schärfe. Der glückliche Ansatz, ausgehend vom Gegensatzpaar Freiheit/Sicherheit eine geistige Standortbestimmung unserer Zeit zu unternehmen, wird nicht fortentwickelt, sondern verliert sich in einem Summarium von Einzelkritiken, denen oft widersprüchliche Konstanten zugrunde liegen. So tritt Sofskys Freiheit einmal als absolut negative Größe auf, die ins Chaos führt, weil jeder von ihr notwendig rücksichtslosen Gebrauch macht; dann wiederum schwingt sich der Autor zum Verteidiger der Freiheit auf, in der er gerade noch die Wurzel allen Übels erkannt hat. Diese Ungereimtheit durchzieht das ganze Buch, was wohl damit zusammenhängt, dass sich Sofsky nicht entscheiden kann, ob er als Phänomenologe oder als pragmatischer Denker schreiben will.

Zu oft entgleitet Sofsky sein hermeneutisches Seziermesser und verwandelt sich in das einschneidige Schwert perspektivloser Zivilisationskritik. Weder die „Zerstörung der Freiheit“, von der er orakelt, noch ihre reale Chance in unserer Zeit werden in ihrem Wesen erkennbar; einen Ausweg aus der „ewigen Gegenwart der Ungewissheit und des Schreckens“, die der Autor in grellen Farben illustriert, zeigt das Buch nicht auf.

— Wolfgang Sofsky: Das Prinzip

Sicherheit.

S. Fischer,

Frankfurt a. M. 2005. 176 Seiten, 16,90 €.

Konstantin J. Sakkas

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false