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Kultur: Sie sind steuerpflichtig

Das seriöse Image hat Hans Eichel. "Der sieht doch ganz solide aus", sagt eine Besucherin in der Steinhalle des Bundesfinanzministeriums als Eichel im dunkelblauen Anzug auftritt.

Das seriöse Image hat Hans Eichel. "Der sieht doch ganz solide aus", sagt eine Besucherin in der Steinhalle des Bundesfinanzministeriums als Eichel im dunkelblauen Anzug auftritt. Da hatte er die Ergebnisse der Steuerschätzung noch nicht bekannt gegeben. Damit er auch nach den desaströsen Zahlen noch gut dasteht, verbreitete er Optimismus. "Veränderungen können im Guten wie im Schlechten passieren", sagt Eichel über den Ausblick in die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Monate.

Dabei hatte ihm der Arbeitskreis Steuerschätzung zwanzig Minuten vorher mitgeteilt, dass die Steuereinnahmen in diesem Jahr 12,8 Milliarden Mark unter der angestrebten Marke liegen werden. Das ist eine Menge Geld, das die Städte, Länder und der Bund nun woanders herbekommen müssen. In Eichels Haushalt werden nach der Schätzung 4,2 Milliarden Mark fehlen, denn der größte Teil entgeht den Ländern. 2002 sprudeln die Steuern auch nicht so wie gewünscht. Knapp 20 Milliarden Mark (9,8 Milliarden Euro) zahlen die Bürger und Unternehmen weniger an Steuern, als die Rechner in den Finanzministerien des Bundes und der Länder noch im Mai gedacht haben. Grafik: Wirtschaftsdaten Verantwortlich dafür sind die anderen, finden die Experten im Finanzministerium. "Darin spiegelt sich die Abkühlung der Weltkonjunktur", sagt Eichel, denn schließlich hat die schlechte wirtschaftliche Lage zu den Steuermindereinnahmen geführt. Also der hohe Ölpreis zu Anfang des Jahres, die eingeknickte US-Konjunktur schon vor den Anschlägen und die höheren Preise für Lebensmittel nach der BSE-Krise und der Maul- und Klauen-Seuche.

Es hatte alles so gut angefangen

"Innerdeutsche Gründe" gibt es nach Eichels Analyse nicht für die wegbrechenden Steuereinnahmen. Schließlich habe die Steuerreform stabilisierend auf die Wirtschaft und den privaten Konsum gewirkt. Mit anderen Worten: Durch die gesenkten Steuersätze seit Januar hätten die Bürger und Unternehmen mehr Geld gehabt, mit dem sie kaufen und investieren konnten. "Ohne die Steuerreform hätten wir weniger Wirtschaftswachstum", ist sich Eichel sicher. Viel weniger kann es nicht sein, hatte er doch erst vor zwei Wochen die Prognose drastisch nach unten korrigiert: Lediglich um 0,75 Prozent lege die Wirtschaft in diesem Jahr zu, nicht um drei und auch nicht um zwei Prozent, wie die Finanzer gehofft hatten.

Dabei hatte alles so gut angefangen. 2000 hatte die Wirtschaft geboomt wie nie in den zehn Jahren zuvor. Schon im Herbst 2000 endete der Aufschwung abrupt. Damals mussten die Menschen tatsächlich mehr Geld für Heizöl und Benzin ausgeben und konnten nicht durch Konsum die Konjunktur stärken. Dann brach die Bauwirtschaft ein, die Kurse der Technologieaktien fielen in sich zusammen und kaum ein Unternehmer wollte noch Geld in die New Economy investieren.

Zu wenig Menschen werden eingestellt

Im Frühjahr knickte schließlich die Exportwirtschaft ein. Allerdings lag das weniger an der Abkühlung in den USA, sondern vielmehr an den schwindenden Exporten in die Staaten der Europäischen Union, haben die Prüfer des Internationalen Währungsfonds (IWF) festgestellt. Die Gesandten des Fonds waren im Spätsommer durch Deutschland getourt und haben Daten für ihren jährlichen Bericht gesammelt. Sie loben zwar die Steuer- und die Rentenreform. Aber "die Gründe für die Schärfe und die Dauer des Abschwungs" können sie auch nicht "vollständig erklären". Allerdings mahnen sie Eichel und seine Kabinettskollegen, dringend den Arbeitsmarkt und das Gesundheitswesen zu reformieren. Die deutsche Wirtschaft komme hinten nicht hoch, weil vorne nicht genügend Menschen eingestellt werden. Das könnten sich die Unternehmen nicht leisten.

Für weitere Reformen haben die Minister jedoch keine Zeit - die Bundestagswahl naht. Und kein Geld, denn Eichel muss die Etatlöcher stopfen. Zu den fehlenden Steuereinnahmen kommen rund 6,6 Milliarden Mark, die Eichel nun doch der Bundesanstalt für Arbeit überweisen wird. In seinem ursprünglichen Haushaltsplan 2002 war vorgesehen, zum ersten Mal der Nürnberger Anstalt gar kein Geld zu senden. Ihm fehlen also mindestens elf Milliarden Mark für den nächsten Haushalt. Der Grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger rechnet schon mit bis zu 14 Milliarden Mark.

Glücklich fügt sich, dass aus der EU-Kasse annähernd fünf Milliarden Mark zurückfließen und auch Russland seine Schulden zuverlässig mit einer Milliarde Mark jährlich zahlt. Hinzu kommen drei Milliarden Mark aus vorgezogenen Münzeinnahmen der "Schlafmünzenaktion" vor der Euro-Umstellung. Und die Rechner im Finanzministerium wollen Aktien der mehrheitlich bundeseigenen Post und der Telekom bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau parken. Das bringt auch noch mal bis zu 4,6 Milliarden Mark. Die Neuverschuldung erhöhen will Eichel nicht. Wohl deshalb nicht, weil seine strikte Ausgabendisziplin zum Markenzeichen von Rot-Grün geworden ist. "Fatal" nennt Oswald Metzger eine höhere Kreditaufnahme. Dann nämlich wäre der Ruf der Regierung und ihres einst beliebtesten Ministers ruiniert. Und das im Wahljahr.

Ulrike Fokken

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