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Aufgeblasen. Siegfried (Clay Hilley), Mime (Ya-Chung Huang) und Allmachtsfantasien an der Deutschen Oper.

© Bernd Uhlig

„Siegfried“-Premiere an Deutscher Oper: Zwei Männer und ein Schwert

Muss der Statistenhaufen in Unterwäsche wirklich sein? Die Deutsche Oper vollendet ihren „Ring des Nibelungen“ mit „Siegfried“.

Es fühlt sich an, als wäre es die letzte Party auf unabsehbare Zeit. Das Stimmengewirr in der Deutschen Oper klingt wieder internationaler, die Wagner-Weltgemeinschaft ist angereist, um die erste zyklische Aufführung von Stefan Herheims „Ring“-Deutung zu erleben. Gedeckte Tafeln im Foyer laden zur Stärkung, man gönnt sich Getränke, für die die Masken fallen.

Bei über sechs Stunden Verweildauer im Haus kann man nicht mehr unterscheiden, was man dringender braucht – das Gefühl, einmal durchatmen zu können oder einen Drink. Als nach viereinhalb Stunden der finale Akt beginnt, kichert es übersprungartig durch den Saal.

„Siegfried“ ist die letzte große Hauptstadt-Premiere, bevor ab Montag im Kulturbereich die 2G-Regel gilt. Die Deutsche Oper geht davon aus, dass nur wenige ihrer Besucher:innen nicht geimpft sind und nun Tickets zurückgeben, die im Vertrauen auf eine andere Rechtslage gekauft wurden. Kultursenator Klaus Lederer hat sich lange gegen dieses Szenario gesträubt, weil es schon irgendwie stimmt:

Die Kunst kann nur frei sein, wenn es der Zugang zu ihr auch ist. Doch inmitten der höchsten je ermittelten Inzidenzwerte geraten Prioritäten ins Rutschen, ändern sich unweigerlich auch die Ansprüche an das, was es auf der Bühne zu sehen gibt (Radioübertragung des zweiten „Ring“- Zyklus vom 16. bis 21.11. live auf rbbKultur. Danach 30 Tage lang online abrufbar).

Dort wird nun das letzte Teilstück des neuen „Ring des Nibelungen“ gezeigt, der in seiner Einstudierungsphase voll von der Pandemie erwischt wurde. Es muss ein Alptraum für die Disponenten gewesen sein, dieses Mammutprojekt im Einklang mit Testprotokollen und durchreisenden Gastsänger:innen doch noch premierentauglich zu bekommen. Dass dabei die Reihenfolge von Wagners Tetralogie verrutscht ist und nun „Siegfried“ den Sack zumacht, scheint dabei der geringste Schaden zu sein.

Vielmehr gerät unter diesen erschwerten Bedingungen jeder Kunstaufwand unter verschärften Rechtfertigungsdruck. Muss der sporadisch durch die 16 Aufführungsstunden bugsierte Statistenhaufen in Unterwäsche wirklich sein?

Der Aktivposten des Abends ist dabei klar Clay Hilley

Müssen die fixen Ideen von Kofferbergen als in sich bewegendem Szenenbild und von sich verschlingenden weißen Tüchern als besonderem Gadget exekutiert werden, auch wenn sie die Technik der größten Musiktheaterbühne der Stadt sichtbar an den Rand des Kollapses führen? Andererseits: Warum sollte es der Bühnenmaschinerie an der Bismarckstraße besser ergehen als dem Rest der Welt.

In „Siegfried“ bekommt die Theatertechnik erwartungsgemäß viel zu tun. In diesen Jugendjahren eines Helden wird das Schwert aller Schwerter neu geschmiedet, ein geiziger Drachen und ein hinterlistiger Zwerg werden erschlagen, eine auf Achtung pochende Elterngeneration wird endgültig abserviert und zum Schluss schauernd der Liebe ins Antlitz geblickt. „Siegfried“ ist ein Stück des Übergangs, auch des Bruchs.

Richard Wagner blieb inmitten der Komposition stecken und nahm den Faden erst zwölf Jahre später wieder auf. Von einer Studie des Pubertären geht es direkt hinein in einen Liebestaumel, der die Welt überstrahlt.

Der Aktivposten des Abends ist dabei klar Clay Hilley, dem der junge Siegfried viel besser liegt als der betrogene Betrüger in der „Götterdämmerung“. Wie sehr er sich zurücknehmen kann, um Wendigkeit im vokalen Schlagabtausch zu gewinnen, zeugt von einer Intelligenz, die seiner Bühnenfigur nicht zugestanden wird.

Ya-Chung Huang als Mime mit Wagnerkappe erweist sich ihm in Beweglichkeit ebenbürtig, was dem ersten Akt eine Prise von dem Salz schenkt, das man sich von Donald Runnicles am Pult vergeblich erhofft. Unergründlich die dunklen Bahnen, die sein Wagner-Dirigat zieht, dem Bühnentreiben entrückt.

Ernüchternd das Ende: Man starrt in die Partitur oder haut unmotiviert in die Tasten der ewigen Klavierattrappe. Nina Stemme muss als Brünnhilde ihre Perücke ablegen und verpasst dann stimmlich den Hochstart ins jubelnde Finale. Die Träger:innen der Unterwäsche gehen sich gegenseitig an selbige. Eh egal, Sonntag gibt’s „Götterdämmerung“. Das Sinnbild dieses „Rings“ ist ebenfalls Kunst und steht im Foyer.

Ina Webers Installation „Caretaker’s Lounge“ zeigt ein verlassenes Dienstzimmer mit aufgeschlagenem Kalender, Urlaubskarten neben einem Schlüsselbrett, von Kaffeekonsum gezeichnete Tassen, an der Tür lehnen zwei Wischmopps. Bei wem hier auch immer die Fäden der Hauspflege zusammenlaufen – an der Deutschen Oper ist diese Position verwaist.

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