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Macht Putz. Die Sopranistin Anna Alàs i Jové singt die Titelrolle des Simplicius Simplicissimus.

© Promo/Gianmarco Bresadola

Simplicius-Premiere an der Staatsoper: Narr und Nazi

Erotisch-alkoholisch: Karl Amadeus Hartmanns Kammeroper "Des Simplicius Simplicissimus Jugend" ist in der Werkstatt der Staatsoper zu sehen. In der Titelrolle überzeugt die Sopranistin Anna Alàs i Jové.

Die NS-Zeit verbrachte der Komponist Karl Amadeus Hartmann in der sogenannten „inneren Emigration“. Seine in den 30er Jahren entstandene Kammeroper „Des Simplicius Simplicissimus Jugend“ wird allgemein als Allegorie auf die Schreckensherrschaft gedeutet. Sie erzählt, wie Grimmelshausens „allereinfältigster“ Romanheld durch marodierende Soldaten im Dreißigjährigen Krieg seine Pflegeeltern verliert, von einem Einsiedler, der sich als sein leiblicher Vater herausstellt, aufgenommen und in Religion und Wissenschaft unterrichtet wird, um sich schließlich bei einem Gouverneur und Kriegsgewinnler als Narr zu verdingen.

In der Werkstatt der Staatsoper versetzt die renommierte Schauspielregisseurin Friederike Heller in ihrer ersten Musiktheaterarbeit die Handlung in die Entstehungszeit des Stücks: Aus dem Sprecher der Vorlage wird hier ein vom Schauspieler Thomas Schumacher dargestelltes Alter Ego des Komponisten selbst. Zu Beginn schließt er eigenhändig die Saaltüren, um sich in sein von Bücherwänden umstelltes Arbeitszimmer zurückzuziehen. Simplicius (bei Hartmann von einer Sopranistin dargestellt) entsteigt seinem Schreibtisch, das Folgende spielt sich als Kopfgeburt ab, die der staunende Komponist immer wieder auf seinen Notenblättern protokolliert. Bis auf eine Szene, in der auf die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten angespielt wird, hält sich die Regisseurin mit allzu deutlichen Verweisen auf das „Dritte Reich“ zurück. Gerade im ersten Teil gelingen poetisch- märchenhafte Bilder aus kindlich-unschuldiger Sicht (der Wolf als Inkarnation des Bösen).

Die Werkstattreihe lohnt musikalisch unbedingt

Dennoch kann Heller nicht verhindern, dass der Abend mit dem Anspruch einer rückblickenden Faschismusdeutung belastet wird, die das aus der Perspektive der Vorahnung geschriebene Stück nur sehr bedingt hergibt. Erstens, weil der Spuk in der deutlich sozialistisch inspirierten Oper von einem Aufstand der Unterdrückten und Geknechteten beendet wird; zweitens, weil Hartmann und seinen Librettisten als höchste moralische Verkommenheit doch nur wieder ein erotisch-alkoholisches Gelage der skrupellosen Mächtigen einfällt, das als Bild für die Schrecken von Krieg und Terrorregime etwas beliebig wirkt. Unterstützt vom spielfreudigen und hervorragend singenden Jugendchor der Staatsoper macht Heller daraus ein Sex-und-Drogen-Bacchanal von mäßiger Verruchtheit, an dem auch der jetzt als Dragqueen (warum?) kostümierte Komponist teilnimmt.

Handwerklich ist die Inszenierung auf hohem Niveau, man hat aber nicht den Eindruck, dass dem Regieteam der Stoff unter den Nägeln brennt. Musikalisch lohnt die Begegnung mit Hartmanns einziger abendfüllender Oper in der aufregenden Werkstattreihe dagegen unbedingt. Mitglieder der Berliner Staatskapelle setzen die reizvoll-farbige Partitur unter der umsichtigen und präzisen Leitung von Adrian Heger ins beste Licht. Angeführt wird das Solistenensemble von Anna Alàs i Jové, die in der Titelrolle mit anmutigem Spiel und charakteristischer, in allen Lagen durchschlagskräftiger Stimme überzeugt.

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