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Simpsons: Alles Homer, oder was?

Wer ist kaputter? Die Familie, die Welt? Seit 20 Jahren nehmen die "Simpsons" US-amerikanische Glaubensinhalte ins Visier. Von Sebastian Handke

Sie haben keinen Hals, starken Überbiss, große Glubschaugen und nur acht Finger. Sie sind zweidimensional, und sie sind gelb. Und doch haben sie mehr mit der Realität zu tun als die meisten anderen Gestalten, die auf unseren Bildschirmen in Erscheinung treten: Im April 1987 hatten die Simpsons ihren ersten Kurzauftritt: ein respektloses Trickfilmchen über eine Familie aus lauter Verlieren, das sich auswuchs zu einem erstaunlichen Mikrokosmos westlicher Kultur.

Eigentlich sollte Simpsons-Erfinder Matt Groening nur kleine Pausenfüller zeichnen für die "Tracy Ullman Show". Groening wollte dafür die Hasen verwenden aus seinem wöchentlichen Comic-Strip "Life in Hell". Als ihm aber klar wurde, dass er die Rechte an Fox TV verlieren würde, warf er, noch während er auf das Treffen mit den Produzenten wartete, flugs den Entwurf einer Familienserie aufs Papier. 15 Minuten nur, so die Legende, brauchte Matt Groening für die Skizze eines der einflussreichsten Werke in der Geschichte der Popkultur.

Diese ersten Kurzauftritte der Simpsons, noch recht krude gezeichnet, fanden Anklang bei den Zuschauern und so wagte sich Fox an eine eigene Simpsons-Show, erstmals ausgestrahlt am 17. Dezember 1989. Eine gezeichnete Serie zur besten Sendezeit, das hatte es seit den Flintstones (1960-1966) nicht mehr gegeben. "The Simpsons" wurde ein beispielloser Erfolg und löste einen Boom aus von Trickserien für Erwachsene: längst hat das Cartoon Network seinen "Adult Swim", den täglichen Block für Erwachsene.

"The Simpsons" waren in vieler Hinsicht ungewöhnlich. Stilmittel, die bislang eher in Kunst und Literatur zur Anwendung kamen, brachten sie mit Situationskomik und Slapstick zusammen und auf heimischen Bildschirmen zu einer plastikbunten Explosion: beißende Satire, Selbst-Reflexivität und ein fast avantgardistisches Spiel mit Bedeutung - durchfüttert mit Bezügen, Zitaten und Referenzen, die in ihrer Dichte nur zu würdigen sind, wenn man eine Folge mehr als nur einmal sieht. Die Simpsons vermischten die Genres, verzichteten auf eingespielte Lacher und erfanden den sogenannten "freeze frame gag", für den man mit der Pausetaste des Abspielgerätes den Bildfluss anhalten muss.

In jeder Folge nehmen die Simpsons US-amerikanische Glaubensinhalte ins Visier. Religion und Gemeinwesen, Mittelklasse und Vorstadtleben, Kapitalismus und Konsum, Sex und Politik, Prominente und Minderheiten - nichts und niemand kann sicher sein vor ihrem Spott, schon gar nicht der Zuschauer, der ja nichts anderes sieht, als sich selbst, wenn auch ein bisschen übertrieben. Vater Homer, Mutter Marge und die Kinder Bart, Lisa und Maggie sind fast idealtypische Vertreter der US-amerikanischen Fernsehfamilie, aber doch mit mehr Tiefenschärfe als die Familien vieler anderer Serien - jene mit lebenden Darstellern eingeschlossen. Zugleich ist jede dieser Figuren auch ein funktionales Werkzeug der Satire: Bart der Anarchist, Lisa die Aktivistin, Marge das gute Gewissen und Homer der Hedonist - aus allen vier Richtungen kann das jeweilige Objekt der Satire beleuchtet und bloßgestellt werden.

"Simpsons"-Film noch in diesem Jahr

Politische Kommentare können explizit ausfallen - etwa in der letztjährigen Halloween-Episode "The Day the Earth looked stupid": während Orson Welles aus "Krieg der Welten" liest, findet tatsächlich eine Invasion Außerirdischer statt. Am Ende stehen die beiden schleimig grünen Monster Kang und Kodos vor der zerstörten Stadt und wundern sich, warum ihre Operation "Enduring Occupation" von den Erdlingen nicht als Befreiung begrüßt wird - dann klingt die Folge aus mit der alten Eddie-Seiler-Schnulze "I don't want to set the world on fire".

Unter den Liebhabern der Serie, deren neunzehnte Staffel bereits in Arbeit ist, gibt es viel Kritik an der Entwicklung der Serie, seit sie ihre sogenannten goldenen Jahre (1993 bis 1998) hinter sich hat. Aber bemerkenswert ist doch, mit welcher Beständigkeit und Energie die Serie über die Jahre fortgeführt und weiterentwickelt wurde - noch in diesem Jahr wird der erste "Simpsons"-Film in die Kinos kommen. Voraussetzung dafür ist ein hoher Grad an Unabhängigkeit, den die Autoren, unter ihnen viele Harvard-Absolventen, vor allem ihren ungewöhnlichen Verträgen zu verdanken haben. Fox TV hat keinen Einfluss auf den Inhalt der Sendung: eine "Simpsons"-Folge wird entweder so gezeigt, wie sie abgeliefert wurde, oder sie wird erst gar nicht gezeigt. Auch Fox-Eigentümer Rupert Murdoch muss sich damit abfinden, wenn er in der Serie selbst in Erscheinung tritt als "the billionaire tyrant".

Seit es Simpsons gibt, fragt sich die Poptheorie, ob man den Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln infrage stellen kann. Wenn dies überhaupt mal jemandem im Ansatz gelungen ist, dann Homer, Marge, Bart und Lisa - mit einem ganz schlichten Konzept: Man bediene sich eines Genres, das kaum jemand ernst nimmt, und stopfe es zum Bersten voll mit Kommentaren zur Gegenwart. Denn wenn die Realität zum Cartoon wird, muss der Realist zum Zeichenstift greifen.

"Die Simpsons" sind ein epochales Werk der Fernsehgeschichte, weil sie auf die Spitze treiben, was mit der Trickserie als Kunstform - und nur mit ihr - möglich ist. Aber ganz gleich, welche Schärfe die Autoren ihrer Satire auch gaben, sie haben, und das ist vielleicht das Erstaunlichste, den warmherzigen, fast sentimentalen Kern der Serie nicht aus den Augen verloren. Sie zerstören den Mythos Familie und feiern dann, was an diesem Mythos wertvoll und vielleicht sogar echt ist. Denn nicht diese Familie ist kaputt, wie George Bush senior einmal behauptete. Sondern die Welt, in der sie sich bewähren muss.

"Die Simpsons", Pro 7, 18 Uhr 05 (Tsp)

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