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Kultur: Skepsis total

Die Mitglieder des Autorenkreises der Bundesrepublik können unterschreiben: Anläßlich ihrer 16.Tagung in Berlin liegen zwei Dokumente aus.

Die Mitglieder des Autorenkreises der Bundesrepublik können unterschreiben: Anläßlich ihrer 16.Tagung in Berlin liegen zwei Dokumente aus.Einmal werden die Wähler aufgefordert, am Sonntag nur für Parteien zu stimmen, "die sich glaubhaft und eindeutig zum antitotalitären Konsens bekannt haben und ihn konsequent praktizieren".Soll heißen, weder PDS noch DVU.Das zweite Papier ist ein Brief an den US-Präsidenten.Die Absender bitten, die CIA möge wichtiges Material über Ost-West-Doppelagenten zur Ansicht freigeben.

Die beiden Aufrufe sprechen zwei wesentliche Motive des Autorenkreises an.Die Botschaft für Clinton trägt der Tatsache Rechnung, daß der Autorenkreis 1992 auch aus Protest gegen die Vereinigungsprozesse des PEN sowie der Akademie der Künste zusammenfand.Knapp die Hälfte der derzeit rund 50 Mitglieder - darunter Hans Joachim Schädlich, Henryk M.Broder, Herta Müller und Sarah Kirsch - gehörten in der ehemaligen DDR zu den Dissidenten.Allein in der Rückschau wird der Verband jedoch kaum überleben.Und so will er zwar nicht in Konkurrenz zu anderen Schriftstellerverbänden, wie der derzeitige Vorsitzende Joachim Walther betont, aber doch dezidierter Position zur aktuellen Politik beziehen.Aktionen wie die Wählerinitiative, Lesungen, Diskussionen und eben am Wochenende das Treffen unter dem Motto "Ethos jenseits von links und rechts" sollen zur Außenwirkung beitragen.

Zur Debatte hatte der Kreis den Philosophen Wilhelm Schmid und den Soziologen Michael Zöller geladen sowie, leider von ihnen getrennt, die Politiker Volker Hassemer und Marianne Birthler.Der Vorsitzende äußerte die Hoffnung, die Diskussion möge zur Verständigung zwischen den Mitgliedern des Kreises betragen - angesichts der schwach besuchten Veranstaltung ein wohl dringend notwendiger Wunsch.

Schmid präsentierte einen Extrakt seiner Philosophie der Lebenskunst, die Ethos ganz zur Angelegenheit des Individuums macht.Ethisches Handeln, so Schmid, entstehe, indem der Einzelne sich bewußt für einen Wert entscheide.Zu einer solchen Wahl werde er stets durch den Eigennutz motiviert; abstrakten Sollens-Sätzen gab der Philosoph keine Chance mehr.Zöller behauptete in einem sehr groben Entwurf Kapitalismus als ethisches System.Da der unmittelbare Bezug der Individuen untereinander in der modernen Welt verloren gegangen sei, müßten Institutionen zwischen den Interessen Einzelner vermitteln.Sie seien die eigentlichen ethischen Akteure.

Ob die Diskussion über diese Thesen die Autoren einander näher brachte, muß bezweifelt werden.Sofern sie etwas miteinander anfangen wollten und konnten - ihre immer weiter abnehmende Zahl legte das Gegenteil nahe -, vereinten sie sich vor allem in Skepsis.Gewiß luden argumentative Lücken in den Vorträgen von Schmid und Zöller zum Zweifel ein.Die Frage, inwieweit Individuen überhaupt die Möglichkeit der Wahl besitzen, war ebenso legitim wie nach der Bedeutung nationaler Institutionen angesichts von globalen Fusionen im Bereich der Wirtschaft.

Spätestens im Gespräch mit den Politikern erhoben die verbliebenen Tagungsgäste die Ohnmacht jedoch zum Prinzip.Birthler und Hassemer waren sich in ihrem Befund über die ethische Position von Politikern einig: Auch wenn die meisten aus ehrenwerten Motiven zur Politik kämen, seien sie doch gezwungen, im täglichen Handeln ethische Prinzipien hinter sich zu lassen.Beide plädierten dafür, Verantwortung aus der politischen Sphäre zurückzuübertragen an mündige Bürger.

Diesen Ball ließen die Autoren ungerührt an sich abprallen.Statt dessen setzte ein derart wortgewaltiges Klagen ein, daß sich Marianne Birthler in die ewig unzufriedenen "Ostbiotope" vom Typ Spittelkolonnaden zurückversetzt sah: die unkontrollierte Gewalt der elektronischen Medien, überhöhte Diäten, ein allgemeiner Vertrauensverlust der Politik.Neben einer polternd vorgetragenen Forderung nach "mehr Rechtsstaatlichkeit" kamen die Beiträge über ein allgemeines Hoffen auf mehr Ethik im politischen Handeln nicht hinaus.

KAREN FUCHS

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