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Kultur: Slavoj Zizek: Her mit dem Sinn!

In Europa herrscht Hunger: Hunger nach Sinn. Wo, zwischen Konsumtempeln, Katastrophen-News, Autobahnstaus und Leitkulturgerede gibt es noch echten, richtigen Sinn?

Von Caroline Fetscher

In Europa herrscht Hunger: Hunger nach Sinn. Wo, zwischen Konsumtempeln, Katastrophen-News, Autobahnstaus und Leitkulturgerede gibt es noch echten, richtigen Sinn? Leben wir in der Postsemantik? Obwohl es Kapital und die Ausbeutung immer noch gibt, und die Medien und ihre Widersprüche, und die Dritte Welt und die Erste?

Hunderte Erkenntnishungrige strömten am Sonntag zum "Streitraum" der Schaubühne, wo der slowenische Radikalphilosoph Slavoj Zizek sich auf einem Podium mit Jakob Augstein, Mathias Greffrath und Thomas Ostermeier einfand, um über "Kalte Freiheit" zu diskutieren, über "Gesellschaft ohne Familie".

Draußen vor der Tür standen alle, die man nicht mehr einlassen konnte, und verfolgten die Debatte aus dem Lautsprecher. Aber es war ja eigentlich keine Debatte. Es war eine exzellente Zizek-Show, kollektives, gebanntes Dem-Denker-beim-Denken-Zusehen. Der hielt, was er versprach, stellte Begriffe auf den Kopf und heizte dialektisch der Zweiten Moderne ein: Ein Quatsch sei es, sich als subversiv oder progressiv andrehen zu lassen, was das Globalkapital ja gerade braucht und haben will: das pausenlose Neuerfinden und Umkonstruieren der eigenen Person. So sieht der für jeden Job und Ort flexible Zeitgenosse aus - und ohne widerständiges Potenzial. Alles müsse man umkrempeln, was als progressiv daherkommt, "Multikulti"-Diskurse, Big-Brother-Analysen, Anti-Rassismus-Parolen, alles.

Her mit dem Sinn, dachte wohl das Publikum, das noch nach zwei Stunden kaum müde wurde. Thomas Ostermeier wünschte sich, gemeinsam an einem Rezept für die Revolution zu arbeiten, einem Schlachtplan: Was tun? Die alte Frage. Und die gute, neue Ungeduld. Zizek belässt es beim Anstiften und bei einer fröhlichen Bankrott-Erklärung: "Ich habe zwar einen Zylinder, aber ich habe kein Kaninchen". Großes Gelächter. Heimlich denkt man, er hat ja doch eins.

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