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Kultur: So schwarz, so heiß

So viele Sätze. Aber nur ein Satz, der sich mit dem Autoren hierzulande verbindet: "Man nenne mir das Stück des großen Corneille, welches ich nicht besser machen wollte.

So viele Sätze. Aber nur ein Satz, der sich mit dem Autoren hierzulande verbindet: "Man nenne mir das Stück des großen Corneille, welches ich nicht besser machen wollte. Was gilt die Wette?", schreibt in der "Hamburgischen Dramaturgie" Gotthold Ephraim Lessing und nimmt Corneilles 1644 in Paris uraufgeführte "Rodogune" in drei Kapiteln auseinander: Zu viele Fäden sieht er in der Tragödie über syrische Verhältnisse im zweiten nachchristlichen Jahrhundert - und zu wenige Striche. Die theatralische Praxis hierzulande hat sich dann entsprechend verhalten: Zu Corneille ist ihr nie groß etwas eingefallen. Dabei geht es in dessen Stücken stets ums Äußerste. Entweder muss der Held den Vater seiner Geliebten umbringen, der Bruder die Schwester, oder der Schwiegervater den Schwiegersohn. Vordergründig. In Wirklichkeit will Corneille stets wissen (und lässt es ausdauernd bereden), wie wer zu wem steht und in wessen Hand ist: Im Staat, in der Familie und in der Weltordnung. Viele seiner schwarz-weißen Charaktere passten in die Rubrik "Helden, Götter, Übermenschen". Nietzsche war ein glühender Verehrer Corneilles.

Alles in allem: viel historischer Ballast. Und da kommt nun der neue Hausregisseur Elmar Goerden im Münchner Residenztheater daher und inszeniert "Rodogune" als fast schwereloses Stück Wie schafft er das? Goerden vermag zuzuhören. Er erkennt die Melodie. So beginnt die Aufführung im Haus (und Geist) von Dieter Dorn ganz piano, leicht elegisch, aber eben doch fast in einem Parlandoton. Eine Konversation über feine Teetassen hinweg, vom Personal am Hofe geführt. Der Raum ist weit., hoch, leer, weiß, die Treppe ausladend. Aber die Mauern schwanken, unübersehbar sind die Risse im Fundament. Manchmal hört man ein paar hohe Menschentöne von weit her, fast Musik. Ein kalter Ort für übertemperierte Menschen. So sollen wir sie kennen lernen.

Es treten auf die Zwillinge Seleucus und Antiochus (Oliver Möller und Marc Oliver Schulze). Ihre Anzüge sind exzellent, ihr Benimm nicht minder. Dabei geht es um die Krone zwischen ihnen. Und um eine Frau. Beide wissen nicht, dass die Partherin Rodogune früher die Geliebte ihres Vaters war. Dass ihre Mutter den Vater deswegen umbringen ließ. Was sie erfahren, ist hingegen, dass ihre Mutter, Cleopatra, den Tod Rodogunes will. Umgedreht will Rodogune den Tod Kleopatras. Alles hat seinen Preis. Die Macht und die Liebe. Letzen Endes - das war Lessings größter Vorwurf - zerreißt es die Menschen in der Katastrophe, die keine Katharsis kennt. Sie werden nicht geläutert, sondern gewissermaßen geschredddert. Für die Macht tötet Cleopatra erst den einen Sohn und versucht danach, das Paar Rodogune / Antiochus umzubringen. Schließlich trinkt sie ihr eigenes Gift. Man kann das als Schlachtfest inszenieren, mit Eimern von Blut und Gegröle. Im Münchner Residenztheater, das wohltuend die Ästhetik der alten Kammerspiele beibehält, wird ein Fest der Sprache daraus, eine Demonstration, wie man mit Wörtern würgt. Aber edel.

Das liegt auch an der neuen Übertragung ins Deutsche durch Christian Ruzicska und Albert Lang. Sie lösen das alexandrinische Versmaß auf und wählen ein Idiom, das ein altertümliches Wort wie Verdruss mit einer heutigen Wendung wie "Das klappt nicht" mühelos in Einklang bringt. Als die Zwillinge noch Herr ihrer Gefühle zu sein glauben und wie Jungmanager an der Börse mit dem Begriff Liebe hantieren, kokettiert sogar der jüngere Seleucus einmal mit der trotz allem Gemetzel immer vorhandenen Noblesse seines Textes, indem er ein "Shi" ausstößt, das sich auf dem Weg zum "Shit" befindet, dann aber doch noch zum "Schicksal" geadelt wird. Es ist dem Begriff ja auch gar nicht auszuweichen bei Corneille; Goerden lässt die Schauspieler sich ihm buchstäblich stellen, ehe sie zerbrechen - an ihm, an sich. Jeder längere Monolog wird zu Versuchsanordnung: Wieviel hält ein Mensch aus?

So zwingt es den Sohn Antiochus immer wieder in die Knie, bis er nur noch ein wimmerndes Häuflein ist, und der Prinzessin Rodogune (Bettina Hauenschild) reißt ein Krampf dauernd an den Armen, bis es sie halb in den Staub zwingt. Nie wird die Grenze zur Peinlichkeit auch nur berührt. Und da ist dann noch die Monstermutter der Eva Rieck, die über so ziemlich alle vorstellbaren falschen Tonarten zur richtigen Zeit gebietet: Ein keifender, keuchender Kerl von einer Frau, sarkastisch, sadistisch und liebebedürftig zugleich, verletzt und verletzend, ein blutendes Messer, wenn man so will und am Ende nur noch ein einziger, hoher Schrei. Medea sei die reine Liebenswürdigkeit gegen sie, hat Lessing angewidert befunden. Hier hatte er wohl recht, in allen anderen Punkten kaum. Der Regisseur erbringt den szenischen Beweis, dass die psychischen Abgründe der "Rodogune" von Corneille schaurig viel tiefer sind als viele gegenwartsdramatische Befindlichkeiten im Seichten vorgeblich frischer Ausgrabungslöcher. Wer das Residenztheater verlässt, dem ist schwarz vor Augen.

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