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Kultur: Solche Köpfe braucht das Land!

Hans Magnus Enzensberger über sein Projekt, das Universalgenie Alexander von Humboldt wiederzuentdecken

Herr Enzensberger, Sie sind Lyriker, Essayist, Übersetzer, Gründer der Zeitschriften „Kursbuch“ und „Transatlantik“, Herausgeber der „Anderen Bibliothek“ bei Eichborn – und nun auch noch Werber für drei Bände des Universalgelehrten und Weltreisenden Alexander von Humboldt, die zum 20. Jahrestag der „Anderen Bibliothek“ erscheinen. Wie fühlt sich der kritische Intellektuelle in der Rolle des Lobredners?

Ich gehe ungern auf die Bühne. Sie werden nicht erleben, dass ich in einer Talkshow sitze und mein Buch in die Kamera halte. In diesem Fall tue ich das nicht in eigener Sache, sondern quasi als Stellvertreter für einen anderen, einen Größeren, für jemanden, den ich bewundere. Ich werbe ja auch nicht allein für Humboldt und sein Werk. Mein Kompagnon Franz Greno ist dafür weit besser qualifiziert. Er ist ein ganz großer Trommler. Übrigens war Humboldt selbst ein Mediengenie. Schon in jungen Jahren war er eine Weltberühmtheit, und diese Rolle hat ihn nicht gestört. Er hat sie sogar genossen und für seine Ziele strategisch eingesetzt. Er war nämlich davon überzeugt, dass die Wissenschaft sich nicht zurückziehen dürfe auf ihre Akademien und Studierstuben. Die Wissenschaft, glaubte er, müsse mit der Gesellschaft vermittelt werden. Er wusste, dass die Zukunft Europas nicht zuletzt vom Fortgang der Wissenschaften abhängig war.

Wer die Humboldt-Bände kauft, tritt schwer ächzend aus der Buchhandlung. Die „Ansichten der Natur“ haben noch normales Buchformat, aber der „Kosmos“ und die „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas“ sind kiloschwere, großformatige Folio-Bände: zusammen 1500 Seiten. Wer soll das alles lesen?

Humboldts Ambition ist es, die gesamte physische Welt in seinem „Kosmos“ zu beschreiben, von den entferntesten Milchstraßen bis zu den Moosen auf irgendeinem Felsengrund. Dafür sind diese 1000 Seiten eigentlich erstaunlich wenig. Ein solches Buch liest man ja auch nicht von vorne bis hinten durch wie einen Krimi. Es gibt ein 30-seitiges Inhaltsverzeichnis, und dort wird sich jeder Leser zunächst einmal heraussuchen, was ihn am meisten interessiert. Wir sind auch gefragt worden, ob der „Kosmos“ nicht veraltet sei. Das glaube ich nicht. Gewiss weiß man heute mehr als vor 150 Jahren. Nur: Das Basiswissen, die elementaren Dinge – wie funktioniert unser Planetensystem, wie sind die Gebirge, die Kontinente entstanden, wie arbeitet die Klimamaschine der Erde? –, das alles sind Kenntnisse, die nicht veralten. Es gibt heute eine modische Art, die Naturwissenschaften zu betrachten. Immer das Neueste soll es sein. Aber wenn man dann ein bisschen nachfragt, dann stellt man fest, dass dieses Interesse sich auf dünnem Eis bewegt. Also, ich denke: first things first. Ohne Basiswissen geht es nicht.

„Kosmos“ und die „Ansichten der Kordilleren“ sind Prachtbände. Handelt es sich um coffee table books für Intellektuelle?

Humboldt ist ein sinnlicher Autor. Er hat mit den besten Künstlern seiner Zeit zusammengearbeitet. Sein Werk reflektiert die Schönheiten der Natur, die Lust zur Entdeckung. Würden Sie eine langweilige Lexikonprosa vorziehen?

Warum aber, glauben Sie, ist Alexander von Humboldt für uns heute noch wichtig?

Ganz einfach. Ein Land, das auf seine besten Köpfe verzichten und eine singuläre Erscheinung wie Humboldt ins Antiquariat verbannen wollte, wäre wohl nicht mehr zu retten! Humboldt war nicht nur unser bedeutendster Universalgelehrter. Er hat auch schon vor zweihundert Jahren erkannt, was es mit der Bildungsmisere auf sich hat, von der heute alle schwätzen, ohne die Konsequenzen daraus zu ziehen: Pisa und die Folgen und so weiter. Wenn man zum Beispiel sieht, dass die Hamburger Universität die Geisteswissenschaften abschaffen will, dann hat man doch den Eindruck, dass es sich um reine Rhetorik handelt, ein folgenloses Dauerpalaver. Übrigens war Humboldt einer der wenigen, die schon vor 200 Jahren die ökonomische Bedeutung von Wissenschaft und Forschung erkannt haben. Er hat vorhergesehen, dass die Gesellschaften des Westens auf die Dauer nur überleben können, indem sie diese Kompetenzen entwickeln. Ein Land wie die Bundesrepublik kann mit den Löhnen in Thailand nicht konkurrieren. Humboldt hat Leute wie Werner von Siemens und Justus Liebig gefördert, die Akademien reformiert, den Orden Pour le Mérite gegründet. Er hat Forschungspolitik in großem Stil betrieben. Deutschland ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer wissenschaftlichen Weltmacht aufgestiegen. Heute können wir das kaum noch von uns behaupten.

Humboldt ist in diesen Tagen überall: im Fernsehen, im Radio, in den Zeitungen, sogar auf dem Titelbild eines Nachrichtenmagazins und auf einem Riesenposter am Berliner Kronprinzenpalais. Es gibt ein Geburtstagskonzert und mehrere exklusive Diners für Förderer, zu denen zwei ehemalige Bundespräsidenten, der Fernsehmoderator Günther Jauch, der Extremsportler Reinhold Messner, der Außenminister Joschka Fischer und viele andere Prominente gehören. Der Eichborn Verlag lässt sich das Humboldt-Projekt 1,5 Millionen Euro kosten. Wäre etwas weniger Rummel Humboldt nicht angemessener gewesen?

Warum so zaghaft? Solche Einwände werden mit einem Unterton von Säuerlichkeit von Leuten vorgebracht, die Humboldt vielleicht ganz gerne für sich behalten hätten – als eine Sache für die Gelehrten, für die Fachwelt, für die Professoren. Humboldt hätte sich darüber lustig gemacht. Wenn man ein Projekt dieses Kalibers verwirklichen will, dann kann man es nicht in Stille und Diskretion betreiben. Es geht hier nicht um ein Saisonereignis. Die Medien haben bekanntlich ein kurzes Gedächtnis. Aber wir wollen die Sache langfristig weiterverfolgen. Wir haben den Plan, eine Reihe von Schulen in Deutschland mit Humboldts Werken zu versorgen. Weil nicht jeder Schüler 99 Euro auf den Ladentisch legen kann, suchen wir Patenschaften, Sponsoren. Von der öffentlichen Hand gibt es natürlich keinen Euro. Ich bin gespannt, ob es Leute gibt, die kapieren, welche Quelle der Inspiration Alexander von Humboldt für junge, begabte Menschen sein kann.

Das Gespräch führte Jörg Plath.

Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger lebt in München, feiert im November seinen 75. Geburtstag und ist Herausgeber der „Anderen Bibliothek“ im Eichborn Verlag. Dort sind die Prachtausgaben mit Werken Alexander von Humboldts (1769 – 1859) erschienen: „Kosmos“ (99 €), die „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas“ (69 €) sowie die „Ansichten der Natur“ (33 €). Außerdem ist eine Doppel-CD mit einer Lesung von Gert Westphal aus „Kosmos“ erschienen (25 €). Die Berliner Buchvorstellung findet heute um 11 Uhr in der Berlin-Brandenburgischen Akademie statt (Akademiegebäude Gendarmenmarkt, Jägerstr. 22–23). Eine Homepage ( www.humboldt-portal.de ) informiert über alle Veranstaltungen rund um Humboldt.

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