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Kultur: Soldaten im Salon

Klaus Harpprecht über Arletty und ihren Offizier

Die Geschichte ist zu schön, um nicht erzählt zu werden. Die rätselhafte, berühmte Arletty, Star der Kino-Klassikers „Die Kinder des Olymps“, einer Inkarnation des französischen Films, war während der deutschen Besatzung liiert mit einem Wehrmachtsoffizier. Die Affaire hatte alles, was zu eine bewegenden Geschichte gehört: große Liebe und die Drangsale einer schlimmen Zeit, französisch-deutsche Nähe und die größte Entfremdung der beiden Nationen. Drei Jahre hat diese Beziehung gedauert. Freilich hat sie sich vollzogen in der Intimität eines Liebesverhältnisses, dem die widrigen Zeitumstände eine zusätzliche Verborgenheit auferlegten – mehr als ein paar Äußerungen, eine Handvoll von Briefen sind davon nicht geblieben. Und so könnte schon die Frage aufkommen, ob das schöne Sujet für ein Buch ausreicht.

Aber für Klaus Harpprecht gilt die Liebe von Arletty und ihrem Offizier vor allem als der Herzschlag der Leidenschaft in einer Geschichte, die weit ausgreift. Von ihr aus entfaltet sich das merkwürdige, ebenso faszinierende wie zwiespältige Bild des Verhältnisses von Deutschen und Franzosen in den „dunklen Jahren“, wie die Franzosen die Besatzungszeit und die Vichy-Ära bezeichnen. Genauer: das Phänomen einer „Besatzungskultur“, die unter und neben der deutschen Herrschaft mit ihren Restriktionen und Verfolgungen existierte und die Harpprecht mit dem Wort von der „Blüte des Paradoxen“ treffend belegt: frankophile deutsche Offiziere und NS-Diplomaten, die in den Pariser Salons verkehren, Deutschlandreisen französischer Intellektueller, Filme und Theaterstücke, die jenseits der Zeitumstände zu existieren scheinen. Und nicht zuletzt haben unter diesen Umständen die großen Gestalten Nachkriegskultur, Jean-Paul Sartre und Jean Anouilh, ihre ersten Auftritte.

Das Buch lebt von solchen Abschweifungen, in denen in Wahrheit seine Botschaft steckt. Es der Blick auf das deutsch-französische Nähe- und Fremdheitsgeflecht, das in der Geschichte von Arletty und ihrem Offizier einen anrührenden Ausdruck findet. Und es ist zu spüren, dass diese Bezüge und die Verzweigungen, in die sie führen, zum Lebensgang des Autors gehören. Seine erste, überwältigende Berührung mit den „Kindern des Olymp“ zum Beispiel ist ein Ergebnis der Umerziehung, die die französischen Kulturoffiziere auch dem jungen Kriegsheimkehrer Harpprecht angedeihen ließen, die intellektuellen Glanzlichter dieser Zeit begleiten seine intellektuellen Entwicklungsjahre, und mit Friedrich Sieburg wird für ihn einer der Protagonisten dieses nicht ganz geheuren Zwischenakts in der langen Geschichte von Deutschen und Franzosen zum Mentor. Das macht das Buch, kein Zweifel, auch zum Zeugnis einer Erziehung, wenn schon nicht der Gefühle, so doch der Maßstäbe und Urteile.

Ist es dieser Hintergrund, der dem Buch seinen Charme gibt? Jedenfalls gibt er ihm den Charakter einer locker-inspirierten Erzählung aus Zeiten des Krieges und eines endlich doch erreichten Friedensschlusses mit einer schwierigen Geschichte. Hinzuzufügen ist, dass der politische Intellektuelle Klaus Harpprecht dem Literaten in sich oft die Zügel locker lässt. Das spürbare Vergnügen an diesem Durchkreuzen einer Biografie und einer Epoche geht zusammen mit einer liebenswerten Fähigkeit zur Empathie, die dem Buch den Grundton gibt.





– Klaus Harpprecht:
Arletty und ihr deutscher Offizier. Eine Liebe in Zeiten des Krieges. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 441 Seiten, 24,95 Euro.

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