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Kultur: Sorgenvoll in Sanssouci

Das vergangene Jahr war ein Preußenjahr. Nun geht es so still zu Ende, dass sich kaum einer dessen bewusst ist: ein Erinnerungsjahr, das fast schon vergessen war, als es noch stattfand.

Das vergangene Jahr war ein Preußenjahr. Nun geht es so still zu Ende, dass sich kaum einer dessen bewusst ist: ein Erinnerungsjahr, das fast schon vergessen war, als es noch stattfand.

Dabei hatte es doch mit beträchtlichem Rumoren begonnen. Mit einem Festakt im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt sprang es höchst symbolbewusst an eben dem 18. Januar auf die Gedächtnis-Bahn, an dem vor dreihundert Jahren das Ereignis stattgefunden hatte, das den - etwas gesucht wirkenden - Anlass zum Gedenkjahr gab: nämlich die Selbstkrönung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich zum preußischen König in Königsberg. Eine Flut von Aufsätzen und Würdigungen präludierte diesem Jahr, das Großes versprach - neue Beschäftigung mit dem viel umstritttenen Staat, historisch-politische Selbstbesinnung, streitige Auseinandersetzungen.

Die sonst so sparsamen Landesväter von Berlin und Brandenburg hatten für das Preußenjahr 25 Millionen Mark bereitgestellt und setzten ihren Bürgern mit starken Grußworten zu. Der brandenburgische Ministerpräsident im O-Ton: "Wir brauchen Preußen, um unsere Identität zu finden und Mut zu machen."

Gut, es hat eine Menge stattgefunden. Das Kulturmanagement arbeitete heftig, es gab Ausstellungen satt. Im Frühjahr im Berliner Schloss Charlottenburg die Preußen-Krönung als eine "europäische Geschichte", veranstaltet vom Historischen Museum und der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten. Im Herbst "Marksteine" einer "Entdeckungsreise durch Brandenburg-Preußen" in Potsdam, in dem zum "Haus der Brandenburg-preußischen Geschichte" renovierten ehemaligen königlichen Kutschstall am schönen alten Neuen Markt. Dazu zwanzig regionale Ausstellungen, übers Land verstreut, von Reckahn im Fläming bis nach Prenzlau. Preußen flächendeckend.

Dazu Veranstaltungen noch und noch, unter denen der Auftritt von Lothar Bisky, dem Vorsitzenden der PDS im brandenburgischen Landtag, bei der stocktraditionalistischen Preußischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg - Signet: Pro Gloria et Patria - vermutlich die originellste war. Und am Rande, dort, wo die Wissenschaft sich etwas pikiert zurückhält, blühte das rührende Pflänzchen des privaten Preußenmuseums, das der Berliner Bankier Ehrhardt Bödecker zum Lobe Preußens in Wustrow, dem Herkunftsort des Husarengenerals Ziethen, errichtet hat.

Aber hat Preußen, das Preußenjahr, diesem Jahr 2001 sein Zeichen aufgedrückt? Trotz aller Anstrengungen, trotz aller Besucher, trotz der Erinnerung an das Hüttenwesen und die Zuckerfabriken im Oderbruch und die Einführung des Kartoffelanbaus bleibt der Eindruck blass. Die versprochenen Auseinandersetzungen fanden nicht statt; neue Züge am Preußen-Bild zeigten sich nicht. Dazu passt, dass das Ende des Preußenjahres zusammenfällt mit dem Ende des einzigen Wissenschaftsunternehmens, das Preußen gewidmet war, des "Forschungsinstituts für die Geschichte Preußens" in Berlin. Sein Leiter, der Oldenburger Historiker Ernst Hinrichs, hat nach über fünf Jahren ehrenamtlicher Arbeit die Faxen dicke - um es mit angemessener Drastik zu sagen. Und die deutschen Länder spielen - ernsthafter als je zuvor, beflügelt vom Plan der Bundeskulturstiftung, die einmal Nationalstiftung heißen sollte - mit dem Gedanken, aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auszuziehen.

Natürlich hat das Preußenjahr etliches gebracht. Es hat den Königs-Macher in eigener Sache, Friedrich I., in eine neue Blickachse gerückt. Der stand bis dahin eher am Rande der preußischen Herrscher-Reihe - der "krumme Fritz", ein barocker Fürst, der unpreußischste aller preußischen Könige. Nun erscheint er als Gründerfigur im europäischen Rahmen, durchaus mit eigenem Recht. Fraglos ist es auch verdienstvoll, Preußens Erbe in der Breite Brandenburgs aufzuspüren und in zahlreichen Facetten zur Anschauung zu bringen. Der Erfolg einer solchen Anstrengung ist schwer abschätzbar. Da sind, biblisch gesprochen, viele Samenkörner auf den dürren Boden unseres Geschichtsbewusstseins gefallen, und manche mögen Frucht tragen. Doch am enttäuschenden Eindruck des Preußenjahrs ändert das nichts.

Lag es an der Anlage des Erinnungsprogramms? Das übte sich ja von Anfang an in strenger Selbstbescheidung. Zwar hatte kein geringerer als Bundespräsident Rau den Versuch gemacht, den Blick darauf zu richten, wie weit Preußen einst reichte. Der Wuppertaler erinnerte in einem Aufsatz daran, dass er, Jahrgang 1931, noch in Preußen geboren wurde, der langjährige Ministerpräsident subsumierte sein Land Nordrhein-Westfalen unter die Erben Preußens - was in Düsseldorf und um Düsseldorf herum nicht immer so freimütig bekannt worden ist. Aber der Blick der diesjährigen Preußenschau endete an der Grenze von Brandenburg. Es kam schon nicht mehr bis in die nächste preußische Provinz, Sachsen-Anhalt: In Magdeburg beging man 2001 das Ottonen-Jahr. Überhaupt beugte sich der historische Flug dieses Preußenjahrs fast aufatmend pädagogischen Zwecken: Preußen für den Hausgebrauch - für die Identitätsstiftung Brandenburgs und die Legitimation einer Fusion von Berlin und Brandenburg.

Es sieht so aus, als reiche das nicht, um Preußens Bedeutung hervortreten zu lassen. Man konnte in den vergangenen Monaten ja nicht umhin, auf das Preußenjahr 1981 zurückzusehen, mit dem das Thema wieder in die deutsche Gegenwart eintrat - mit jener großen Ausstellung im wieder eröffneten Gropius-Bau im Westen, im Osten mit der spektakulären Rückkehr des Rauchschen Friedrichs-II.-Denkmals aus der Verbannung in Sanssoucie an den alten Platz Unter den Linden.

Damals schien Preußen wie eine brisante Ladung, die jeden Augenblick in die Luft gehen konnte. Das tat es natürlich nicht, aber seine Widersprüchlichkeit stand jedermann vor Augen, und die Bücher, die in großer Zahl produziert wurden, trugen Namen wie "Fragen an Preußen" oder gar "Warnung vor Preußen". Nun, zwanzig Jahre später, scheint es keinen Anlass mehr zu geben, Preußen eindringlich zu befragen, sich über diese gewaltige Geschichts-Eruption zu streiten oder sie gar anzuklagen. Oder hält es nur keiner mehr der Mühe für wert?

Gewiss, wir haben seither einiges gelernt. Preußen erscheint uns nicht mehr als jener Hort des Militarismus, der die Alliierten veranlasste, das Land 1947 aufzulösen. Im Gegenteil, nun sieht es gelegentlich fast so aus als habe es vor allem aus Toleranz, Redlichkeit und dem Ethos von Pflicht und Gehorsam bestanden. Ganz so war es nun doch nicht, aber auch die Widersprüche Preußens - Militarismus und Klassizismus, Nüchternheit und wilhelminische Großmannsucht - gehören heute zum Inventar des Preußen-Bildes. Doch über allen diesen Lektionen ist offenbar etwas auf der Strecke gebleben. Ist es das nicht ganz Geheure an dieser großen Episode der Weltgeschichte, das mit seiner Faszination doch irgendwie zusammenhängt? Ist es der Umstand, dass die Normalität der historischen Betrachtung Preußen eingeholt hat?

Es steht, nach diesem Preußenjahr, nicht schlecht um Preußens Nachleben. Das Schloss, das sein erster König errichtet hat, ist mit der Empfehlung der Experten-Kommission seiner neuen Rolle als städtebaulicher Anker der Stadtmitte näher gerückt. Auf der anderen Seite des Brachfeldes, der einmal der Schlossplatz war, ragt eine Ecke der Bauakademie auf, sozusagen zur Probe; einen neuen Verein zur Beförderung ihrer Wiederherstellung gibt es seit diesem Herbst auch. In Potsdam ist der Aufbau des Stadtschlosses sogar beschlossene Sache.

Dieser Tage ist Preußen-Professor Ernst Hinrichs in Berlin. Er löst sein Institut am Hausvogtei-Platz auf - das Mobiliar geht an die Akademie der Wissenschaft, die Bücher an die Humboldt-Universität. Die VW-Stiftung hatte zwar 1,5 Millionen Mark als Anschluss-Finanzierung genehmigt. Aber Berlin und Brandenburg, die sich allzu gerne mit Preußen groß tun, waren nicht bereit, die Fortführung eines Instituts zu sichern, das sich wissenschaftlich mit seiner Geschichte beschäftigt.

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