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Zeichensprache. Darryl E. Woods in „Babel“ von Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet.

© Berliner Festspiele/Koen Broos

Spielzeit Europa: Friedlich fliegende Fetzen

13 Performer und fünf Musiker aus insgesamt 13 Ländern stürzen sich in eine babylonisch-belgische Sprachverwirrung. Tanz, Magie, Zirkus: "Babel" begeistert bei der Spielzeit Europa.

Von Sandra Luzina

Am Anfang war das Wort – so steht es jedenfalls in der Bibel geschrieben. Ulrika Kinn Svensson behauptet dagegen zu Beginn von „Babel“ etwas anderes: Ursprünglich hätten die Menschen sich durch eine Gestensprache verständigt, sagt die Schwedin, während sie mit flinken Fingern einen anmutigen Code formt. Missverständnisse, fährt sie fort, konnten mit einem einfachen Handzeichen aus der Welt geschafft werden: „Du öffnest die Handfläche, das heißt: verzeih mir.“

Nach Angelin Preljocajs „And then, one thousand years of peace“ lockt die Spielzeit Europa mit einem weiteren Höhepunkt. Auch „Babel“, die gemeinsame Produktion von Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet, wurde von der Bibel-Lektüre angeregt. Die Geschichte des Turmbaus zu Babel liest sich wie ein Sinnbild für die globalisierte Gegenwart. Im Haus der Berliner Festspiele stürzen sich nun 13 Performer und fünf Musiker aus insgesamt 13 Ländern in eine babylonisch-belgische Sprachverwirrung. Die Konfusion hat aber nicht nur die Köpfe erfasst, auch die Körper können nicht mehr miteinander kommunizieren.

Cherkaoui und Jalet haben ein fantastisches Ensemble aus Komödianten und Körperartisten versammelt. Es ist eine große Lust, diese vor Energie geradezu überschäumenden Tänzer bei ihrem Ringen um Verständigung zu betrachten. Denn obwohl hier Fragen des Zusammenlebens verhandelt werden, über Sprache, Kultur und Identität reflektiert wird, hat das Stück doch einen leichtfüßigen Witz. Zudem ist „Babel“ beseelt von dem Glauben, dass sich trotz aller Unterschiede eine Verbindung zwischen den Menschen stiften lässt.

Das genial schlichte Bühnenbild von Antony Gormley besteht aus fünf mobilen Metallquadern und -kuben, die ständig neue Begrenzungen schaffen. Diese Module stehen für die Kälte einer architektonischen Moderne. Sie werden ineinander geschachtelt, bis ein imposanter Turm entsteht. Sie werden zum Gefängnis, zur Vitrine und Ego-Box oder zur Schleuse, die eine aufgebrachte Menge passieren muss.

Wie kämpferische Samurai tritt die Gruppe anfangs auf, angefeuert von den harten Schlägen des Kodo-Trommlers. Die Choreografie amalgamiert die verschiedenen Stile zu einem geschmeidigen wie hoch energetischen Idiom. Doch bald entspinnt sich ein wildes Gerangel - jeder gegen jeden. Selbst wenn die Akteure friedliche Absichten verfolgen, fliegen die Fetzen. Wenn der Brite, der Inder, der Russe sich entschuldigen und dabei in verschiedenen Sprachen sprechen, mündet das in einen neuen Tumult.

Der Clash der Kulturen ist oft sehr lustig. Etwa wenn zwei kleine Japaner sich ratlos an Svensson, der schwedischen Barbarella, zu schaffen machen. Sie drücken hier und ziehen da, doch wie eine kaputte Puppe produziert die hochgewachsene Blondine nur verstörende Körperzeichen. Doch „Babel“ zeigt auch ein ungemein sinnliches Liebesduett, wenn Mann und Frau sich zuerst nur mit den Fingern berühren, spürt man die elektrische Ladung. Doch nach der Verschmelzung der Körper verstößt die moderne Eva ihren Partner.

Der überragende Komiker des Abends heißt Darryl E. Woods. Ganz britischer Snob, doziert er über die Überlegenheit der englischen Sprache und raunzt einen anderen dunkelhäutigen Tänzer an: „Zurück ins Dschungelbuch“. Woods ist es aber auch, der den Zuschauern das „Gandhi-Neuron“ erklärt – so nennt er die „Spiegelneuronen“, die für Empathie sorgen. Das ist neurowissenschaftlich bewiesen. Cherkaoui und Jalet finden eine wunderbare Metapher für diese revolutionäre Erkenntnis. Am Ende verhaken die Darsteller ihre Beine ineinander und verschmelzen zu einem Sechsundzwanzig-Füßler, einer Menschenkette, wo jeder den anderen mitzieht. Gemeinsam kommt die Menschheit voran. Zwar ist es nur eine schöne Utopie, die die Tänzer und Musiker in „Babel“ veranschaulichen. Doch das hinreißende Ensemble verleiht diesem Traum eine verführerische Gestalt. Und wurde vom Publikum enthusiastisch gefeiert.

Haus der Berliner Festspiele, Sonnabend und Sonntag, 20 Uhr

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