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Kultur: Spione im Haus des Todes

Der richtige Augenblick: Eine Ausstellung im Münchner Haus der Kunst untersucht Kriegsbilder in den Medien.

Jeden Freitag zogen die Dorfbewohner nach dem Gebet durch die Felder unterhalb ihres Dorfes, um vor den verbarrikadierten Eingängen des israelischen „Sicherheitszauns“ zu protestieren. Auf der anderen Seite des Zauns lag ihr Weideland. Doch dort hatten sich Soldaten formiert. Die Älteren skandierten in gebrochenem Englisch Parolen, die Jüngeren warfen Steine auf die Soldaten jenseits des Zauns. Es waren vielleicht 25 Palästinenser, dazu doppelt so viele Aktivisten aus den USA, die den Dorfbewohnern den Schlachtruf „Israel is fascist State“ beigebracht hatten. Und einige Europäer, die sich für die Sache des unterdrückten Volkes engagieren wollten.

Das ist zwei Jahre her. Zwischen den Demonstranten und später auf einer kleinen Anhöhe – der Wind wehte das Tränengas von uns weg – standen wir als Teil des Rituals: drei Dutzend Fotografen, Reporter, Kameraleute. Männer skandierten für unsere Kameras, postierten sich so, dass brennende Reifen mit in den Bildausschnitt passten. Anschließend gab es im Dorf Cola für alle, doch das Unbehagen blieb. Wenn die Reporter einmal nicht kämen, würden die Palästinenser trotzdem so vehement protestieren, dass wieder – wie eine Woche zuvor – ein Dorfbewohner sterben musste? Er war verblutet, nachdem ihm eine Tränengasgranate die Arterie zerfetzt hatte.

Der Grund, warum diese Palästinenser ihr Leben riskierten, waren die Bilder, die von Wut und Ungerechtigkeit erzählen. Während sie den ungleichen Kampf mit den Soldaten provozierten, blieben wir Bildermacher auf Distanz. Wir waren schließlich nicht eingezäunt. Susan Sonntags Appell, „dass sich der Fotograf im Haus der Liebe oder des Todes wie ein Spion bewegt und dass diejenigen, die er fotografiert, von der Kamera nichts ahnen, dass sie nicht auf der Hut sind“, war fern.

Das Münchner Haus der Kunst beschäftigt sich in der Ausstellung „Bild – Gegen – Bild“ mit diesen Fragen. Sie untersucht, welche Ereignisse in Kriegsbildern gezeigt und welche ausgelassen werden. Die präsentierten künstlerischen Arbeiten nehmen sich die mediale Berichterstattung über Krieg und Krisen der letzten beiden Dekaden vor. Statt einer Pädagogisierung des Problems wie befürchtet, gelingt es den Künstlern, hinter die Bilderproduktion zu schauen. Sean Sneyder zeigt, dass die Filme von Al Qaida wie des US-Verteidigungsministeriums eine ähnliche Art der pixeligen Unschärfe verwenden. Einerseits wird dadurch Authentizität suggeriert, andererseits werden dabei genauere Informationen vorenthalten. Trevor Paglen hat sich sowohl im Himmel als auch auf der Erde auf die Suche nach Bildmaschinen, Drohnen und Satelliten von Militär und Geheimdiensten begeben. Schließlich beginnen die asymmetrischen Kriege mit der hochtechnischen Erkundung des Gegners. Wer die Macht über Bilder hat, besitzt sie häufig auch über das Leben.

Harun Farocki widmet sich einem signifikanten Detail. Er entdeckte in Computersimulationen einen Unterschied in der Vor- und Nachbereitung der realen Kriegsszenarien. Bei der Schulung von Soldaten mittels Simulation soll die virtuelle Bilderwelt helfen, Hemmschwellen zu überwinden. Die Ähnlichkeit zur Computerspielästhetik ist in der Nachbereitung offensichtlich, nur fehlen die Schatten, weil das US-Militär bei der Programmierung Geld sparen will.

Ahlam Shibli zeigt eine Fotoserie über die mehrheitlich beduinischen Fährtenleser, die freiwillig der Israelischen Armee dienen, um sich nach ihrem Wehrdienst ein Stück Land kaufen zu können. Shibli erklärt, dass ihr diese Dokumentation schwergefallen sei, ja sie sogar psychologische Hilfe in Anspruch nehmen musste. Ihre nüchterne Bildsprache sei der Versuch, „die Urteile meiner Gesellschaft“ über ihre Landsleute im Militärdienst des Gegners auszublenden. Unerwähnt bleibt freilich, dass die Beduinen nicht nur unter der israelischen Armee und fanatischen Siedlern zu leiden haben, sondern auch von den Palästinensern ausgegrenzt werden. Shibli demonstriert , wie Menschen dem Erzfeind dienen müssen, um wenigstens eine geringe soziale Sicherheit zu gewinnen. Wie kompliziert die Sache ist, zeigt sich an der Terminologie der Kuratorin, die Shiblis Aufnahmen als „objektive Bilder“ vorstellt. Was kaum sein kann.

Neben erwartbaren Arbeiten zur Medienwelt der USA richtet die Ausstellung ihr Augenmerk auch auf den Jugoslawienkrieg. Jasmila Žbanics Film über ihre Freundin Bilja stellt die Frage nach der moralischen Rolle des Fotografen. Der Bildreporter Luc Delahaye hatte sie blutend kurz nach der Explosion einer Granate an einer Straßenecke im besetzten Sarajevo fotografiert. Ihr Vater wurde bei dem Attentat getötet, ebenso der Hund, den sie auf dem Bild in ihren Armen hält. Bilja überlebte schwer verletzt.

Nachdem Delahaye drei Filme verschossen hatte, ging er weiter, ohne Erste Hilfe geleistet zu haben. Für ihn zählte offensichtlich mehr die Suche nach dem Bild, das die Empörung über die Besetzung der Stadt schüren würde. Vielleicht wollte er auch nur dokumentieren, wie schlimm es um die Zivilbevölkerung stand, die zur Geisel der Serben wurde. In einer „Spiegel“-Reportage über Kriegsfotografen vermutet der Fotoreporter, dass gute Bilder oft im Tausch gegen den Impuls, Betroffenen zu helfen, gemacht werden. Jasmila Žbanic sieht darin den Typus des zynischen Kriegsfotografen.

Die Geschichte der Kriegsfotografie ist eine Geschichte der arrangierten Aufnahmen, sie wurde bereits vielfach kunsttheoretisch oder medienkritisch untersucht. Insofern birgt die Münchner Ausstellung keine Überraschungen, doch erinnert sie eindrücklich daran, dass Bilder immer Teil des Krieges sind. Auch Susan Sonntag wusste um die Romantik, die Ironie und das Trügerische von Aufnahmen: „Kein noch so ausgeprägtes Bewusstsein davon, was Fotografie ist oder sein kann, wird jemals der Faszination etwas anhaben können, mit der uns ein Bild erfüllt, das ein wachsamer Fotograf im richtigen Augenblick von einem unerwarteten Geschehen festhält.“ Lennart Laberenz

Haus der Kunst München, bis 16.9.; Katalog (Verlag Walter König) 29,80€

Lennart Laberenz

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