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Sprachentwicklung: Viele Grundschüler können kein Deutsch mehr

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat davor gewarnt, Kinder zu früh mit Fremdsprachenunterricht zu überfordern. Die Akademie erreichten ständig Klagen, dass Grundschüler nicht mehr des Deutschen mächtig seien.

"In dieser Situation, wo Kinder keine vollständigen Sätze bilden können, noch eine fremde Sprache dazuzusetzen, halte ich für Unfug", sagte Akademiepräsident Klaus Reichert zur Eröffnung der Herbsttagung am Donnerstagabend in Darmstadt. Oft wird in Grundschulen bereits Englisch unterrichtet. Zu den vielfältigen Gründen für die mangelnden Deutschkenntnisse der Kinder gehöre, dass sie sehr viel Zeit vor Fernseher und Computer verbrächten, sich die Eltern aber durchschnittlich nur sieben Minuten am Tag mit ihnen unterhielten.

Die Akademie sieht das Deutsche nicht durch Anglizismen gefährdet, warnt aber vor einer zu großen Förderung des Englischen. "Wir sind keine Katastrophenpropheten, die bei jedem falschen Konjunktiv und bei jedem überflüssigen Anglizismus den Untergang des Abendlandes sehen", sagte Reichert. Gleichzeitig geißelte er die "Schizophrenie" der Politik, die einerseits den Zerfall des Deutschen beklage, andererseits das Englische als Sprache in Universitäten und Schulen fördere. "In der englischen Physikstunde eines deutschen Lehrers möchte ich nicht sitzen", meint der Anglist, Übersetzer und Lyriker. Denn woher solle der gutes Englisch können?

Sind Sprachnormen ein notwendiges Übel?

Mit Vorträgen und Diskussionen befasst sich die Deutsche Akademie noch bis Sonntag mit dem Zustand der deutschen Sprache. Bei dem Treffen analysieren Schriftsteller, Historiker, Sprachwissenschaftler und Pädagogen unter anderem fremde Einflüsse auf das Deutsche. Höhepunkt der Tagung ist am Samstag die Verleihung des Georg-Büchner- Preises an den Autor Martin Mosebach ("Der Mond und das Mädchen"). Der mit 40.000 Euro dotierte Preis ist die renommierteste deutsche Literaturauszeichnung.

Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg, der auch Vorsitzender der Sprachkommission der Deutschen Akademie ist, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Frage, ob Sprachnormen ein "notwendiges Übel" seien. Sein Ergebnis: Sie sind nicht von Übel, aber ihr Gebrauch könne es sein. Aus zwei Gründen seien Sprachnormen sogar zwingend erforderlich: "Erstens müssen wir dafür sorgen, dass Leute, die sich nach der Norm richten wollen, das auch können. Und wir brauchen die Norm, um gegen sie zu verstoßen." Mit dem Verstoß könnten etwa Schriftsteller eine bestimmte Wirkung beim Leser erzielen - allerdings nur, wenn die Regeln allgemein verstanden würden.

In seinem Vortrag "Der Ungehorsam gegen die Tatsachen" machte auch der Schriftsteller und Büchnerpreisträger Wilhelm Genazino die Wirkung von Regelverstößen deutlich. Die Sprache, die zur Verfügung stehe, erlaube dem Sprecher nicht, das Vorgestellte genau zu sagen. "Wer will, kann das menschliche Sprechen als einen fortlaufenden Akt der Selbstbehinderung beschreiben." Der "Ungehorsam" von Schriftstellern liege in der Verletzung dieser Normen (Tatsachen), um diesen Mangel beziehungsweise diese Kluft von innerer und äußerer Sprache zu überwinden. (mit dpa)

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