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Kultur: Sprung ins Brachland

Förderpreis an Juri Sternburg, nur wenig Qualität: Der Stückemarkt auf dem Theatertreffen

Simon Stephens wirkt wie ein Alien, das von einem Planeten der guten Laune in einen deutschen Volkshochschulkurs gefallen ist. Der britische Dramatiker spricht zur Eröffnung des Stückemarktes auf dem Theatertreffen, auf der Agenda steht das Thema „Infinite diversity in new european writing“, also irgendwas mit unendlicher Vielfalt. Stephens ruft fröhlich ins Rund, dazu fielen ihm zwei Worte ein: Langeweile und Horror! Gut gesagt! Seine Rede heißt „Skydiving, blindfolded“, Himmelssturz mit verbundenen Augen, einfach, weil es gefährlich klingt. Der Mann kommt aus einer beneidenswerten Tradition, in der Unterhaltung kein Schmähwort ist. Aber der ironiebegabte Stephens („Pornographie“) will auch ein guter Gast sein. Weshalb er bald anfängt, das deutsche Theater zu belobhudeln und das britische zu bespötteln. Etwa, weil in seiner Heimat fast nur heimische Autoren gespielt würden. Beifälliges Nicken überall.

Womit wir mitten im Dilemma sind. Denn dass es nur einen Grund geben sollte, ein Stück aufzuführen – Qualität! – gerät auf dem Stückemarkt, der mit seinen fünf szenischen Lesungen die neue europäische Dramatik fördern will und namhafte Regisseure und Schauspieler aufbietet, regelmäßig in Vergessenheit.

In Dimitrij Gawrischs „Brachland“ irrlichtern zwei russische Brüder ohne Papiere durch die Schweiz. Ivan klaut Petra das Portemonnaie, Oleg bändelt mit ihr an, sie setzt die Pille ab. Und Ivan hat zu Hause ein Kind mit Olegs großer Liebe gezeugt. Alles unbehaust und illegal hier, aber auch so halbfertig wie eine Baustelle. Die 47-jährige Nachwuchsdramatikerin Malgorzata Sikorska-Miszczuk erzählt in „Der Bürgermeister“ von einem Tabu – dem Massaker, das Polen an ihren jüdischen Mitbürgern 1941 in Jedwabne verübten. Doch eigentlich erzählt sie nicht davon, das wäre ja zu spannend gewesen. Der Begleittext des Jury-Mitglieds Jan Klata erklärt es einem. Sikorska-Miszczuk lässt ein surreales Bürgermeistertreffen stattfinden, an dem man nach 10 Minuten das Interesse verliert. Und Konradin Kunze betreibt mit „Foreign Angst“ moralinsaure West-Schelte in einem namenlosen Krisengebiet. Es gab weit über 300 Einsendungen. In der Jury saßen kluge Leute. Ein schrecklicher Verdacht: Es ist wirklich nichts Besseres auf dem Markt.

Mario Salazar, immerhin, beweist in seiner Familienfarce „Alles Gold was glänzt“ schwarzen Humor. Während draußen ein „Aufstand“ tobt, trifft sich die kaputte Sippe Neumann vor dem Fernseher. Aber es hat schon seine Berechtigung, dass Salazars Stück mit der Auszeichnung „Theatertext als Hörspiel“ bedacht wurde. Keine theatrale Notwendigkeit zu erkennen. Regisseur Florian Fiedler aber hat sich für die szenische Lesung etwas Hübsches einfallen lassen: ein echtes Pferd, das sich im Garten des Festspielhauses am Stroh dick und glücklich futtert. Da hat man was zu gucken.

Trotzdem muss es ja einen Sieger geben. Der mit 5000 Euro dotierte Förderpreis für neue Dramatik – verbunden mit einer Uraufführung am Maxim Gorki Theater – ging an Juri Sternburg, der in „Der Penner ist jetzt schon wieder woanders“ zwei vor sich hin philosophierende und faselnde Kiffer in die Berliner U-Bahn setzt. Dort bringen sie alle um, die ihnen auf die Nerven fallen.

Ja, solche Fantasien kennt man. Dann aber, man glaubt es kaum, steigt Gott zu – und das Stück ist zu Ende. In welcher U-Bahn Jesus, Lenin und Hitler unterwegs sind, verrät bestimmt der nächste Stückemarkt. Patrick Wildermann

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