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Kultur: Spur der Einsteine

Neun Künstler bespielen rund um Berlin die Lebensräume des Physikers und Nobelpreisträgers

Kaum stand das Schild von Christoph Büchel an der Ecke Haberland-/Bamberger Straße, protestierte schon der erste Anwohner. Da sei ein Judenstern auf dem Plakat. Konsterniert erzählt Kuratorin Yvonne Leonard, wie er auch noch gesagt habe, dass es Juden hier nicht mehr gebe – und das sei auch gut so. Die Aktion des Schweizers Christoph Büchel ist wohl die brisanteste des Projekts „Einstein Spaces“, mit dem das Berliner Einstein Forum im Jubiläumsjahr die Wirkungen des Physikers auf neun zeitgenössische Künstler testen möchte. Viel mehr als Raum, Zeit und Relativität ist den meisten allerdings nicht eingefallen, auch ließen sich Einsteins biografische Spuren in der Stadt nur in Ausnahmefällen rekonstruieren. Der Physiker selbst, wenn auch universell gebildet, hatte einen höchst konservativen Kunstgeschmack. Doch die ungewöhnlichen Topographien, die Spuren der Zeit und das Thema Erinnerung erweisen sich als ergiebiges Kraftfeld für die Gegenwartskunst.

Büchels Installation in Form eines Baustellenschilds, betitelt „German-Israeli Development Aid“, stellt ein imaginäres, vermeintlich von der Bundesrepublik und dem Staat Israel gefördertes Projekt vor: Teile des israelischen „Schutzzauns“ sollen nach Berlin gebracht werden, während ein Stück der Berliner Mauer in Israel verbaut wird. Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forums, sah sich genötigt, sich schriftlich von der Arbeit zu distanzieren: Der Vergleich zwischen Berliner Mauer und israelischer Grenzanlage sei „in keiner Weise zutreffend“, zudem bringe das Kunstwerk angesehene Institutionen – die Fred-Thyssen-Stiftung und die AlfredHerrhausen-Gemeinschaft firmieren als „Sponsoren“ – in Misskredit.

Ziel erreicht, möchte man meinen. Büchel, dessen Installationen gern als „Entwicklungsprojekte“ daherkommen, baut auf die Reaktionen der Öffentlichkeit wie der beteiligten Behörden: So entwarf er etwa in „Kulturtransfer nach Bagdad“ den Plan, eine Schweizer Kirche in den Irak zu transferieren. Bis 1933 galt das Bayrische Viertel in Berlin als „Jüdische Schweiz“ und war hier der bevorzugte Wohnort des jüdischen Bürgertums. Albert Einstein zog 1917 in die Haberlandstraße 5 – die Straße wurde später von den Nationalsozialisten in Nördlinger Straße umbenannt und erhielt erst in den 80er Jahren ihren ursprünglichen Namen zurück.

Die Orte, an denen Einstein in Berlin lebte und arbeitete, sollten die Ausgangspunkte für die Kunstprojekte sein. Doch die Künstler hat offensichtlich mehr fasziniert, was seitdem dort geschah. Und welche Funken, siehe Büchel, sich daraus schlagen lassen. So bezieht sich der Dokumentarist Harun Farocki am ehemaligen Standort des Physikalischen Instituts der Berliner Universität mehr auf den heutigen Hausherrn, das ARD-Hauptstadtstudio: Sein Filmessay „Ausweg“ reflektiert die Bilder, die wir seit dem ersten Irakkrieg aus den Medien kennen. Die amerikanische Künstlerin Renée Green nutzt den Ort in der Kurfürstenstraße, an dem die von Einstein unterstützte „Deutsche Liga für Menschrechte“ ihren Sitz hatte, um im 13. Stock des heutigen Hochhauses einen Denkraum zur „subjektiven Feldforschung“ einzurichten. Und der polnische Künstler Pawel Althamer zeigt in der Archenhold-Sternwarte in Treptow einen Videofilm über ein Projekt in Warschau. Jugendliche aus einem Problemkiez werden durch engagierte Pädagogen spielerisch an die Physik herangeführt, die sie – wie der Künstler selbst – in der Schule langweilig fanden.

Das ging offenbar mehreren Künstlern so. Auf die Physik haben sich allein Olafur Eliasson und Ann Veronika Janssens eingelassen. Die Engländerin zeigt mit „Donut“ auf dem Gelände der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt am Ernst-Reuter-Platz mit rasant wechselnden Lichtprojektionen nicht nur blaue, weiße und rote, sondern auch lila, gelbe und grüne Kreise. Eliasson wählt den Weiheort schlechthin: den 1924 von Erich Mendelsohn auf dem Gelände des Potsdamer Telegrafenbergs errichteten Einstein-Turm. Mit einer Spiegelreflexion tastet er im Minutenrhythmus das Innere des letzten authentisch erhaltenen Orts ab, des Besprechungszimmers im Turm.

Auf ganz anderen Zeitpfaden wandelt Christian Boltanski mit „Horloge Parlante“ in der Neuen Synagoge Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße. Physikalische Zeit gegen erinnerte Zeit lautet seine These, die der Erinnerungskünstler Boltanski in einer berückend einfachen Installation umsetzt. Ein nur durch eine einzelne Glühbirne erleuchteter Raum, darin eine Stimme, die die Zeit ansagt: „Beim nächsten Ton ist es elf Uhr fünfundzwanzig und zehn Sekunden...“. Doch die Bahnhofsuhr an der Wand ist stehen geblieben. Sie erinnert an eine Uhr, die im Konzentrationslager Auschwitz die Ankommenden begrüßte: Diese war nur aufgemalt und zeigte viertel vor neun. Wer dort aus dem Zug stieg, für den endete die Zeit.

Den heiteren Schlusspunkt setzt der Österreicher Franz West. Eigentlich hätte er das – seit einigen Wochen wieder zugängliche – Sommerhaus Einsteins in Caputh bespielen sollen, doch das war ihm zu leer, zu tot, zu sauber restauriert: Das unbeschwerte Leben, das Einstein dort führte, kehrt nicht zurück. Stattdessen hat West zwei Ponton-Boote auf den See gesetzt, mit weiß-schwarzen Planen darauf „Einst“ und „Ein“. Die spielen, vom Winde bewegt, nun fröhlich miteinander, nähern sich an, entfernen sich, drehen sich und kollidieren. Das Feld von Vergangenheit und Gegenwart, aber auch von Kernspaltung und -fusion sowie deutscher Teilung und Wiedervereinigung ist vom Künstler ausdrücklich mitgedacht. Doch es geht auch einfacher: Einstein segelte liebend gern auf dem Templiner See. Auch daran erinnern die Boote.

Einstein Spaces, 6. 9. – 30. 10., Di. bis So. 10 bis 18 Uhr. Infos und Karte unter www.einstein-spaces.de. Katalog 9,70 €.

Christina Tilmann

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