zum Hauptinhalt

Kultur: "Spurensicherung": Luftpost und Feldfrüchte

Irgendwann, wenn dem untergegangenen Eiland Westberlin einmal ein Museum geweiht wird, werden im literarischen Kabinett alle Bände der LCB-Editionen stehen. Fast hundert schreibende Frauen und Männer werden, jeweils auf einem Stuhl sitzend, vom Umschlag blicken und von den Verdiensten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und des Literarischen Colloquiums am Wannsee künden - und von der Weltläufigkeit einer sonst ganz mit sich selbst beschäftigten Stadt.

Von Gregor Dotzauer

Irgendwann, wenn dem untergegangenen Eiland Westberlin einmal ein Museum geweiht wird, werden im literarischen Kabinett alle Bände der LCB-Editionen stehen. Fast hundert schreibende Frauen und Männer werden, jeweils auf einem Stuhl sitzend, vom Umschlag blicken und von den Verdiensten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und des Literarischen Colloquiums am Wannsee künden - und von der Weltläufigkeit einer sonst ganz mit sich selbst beschäftigten Stadt. Wer nicht alles hier gewesen ist und ein paar Texte hinterlassen hat: die amerikanischen Lyriker Charles Olson und Robert Creeley. Die Polen Tadeusz Rozewicz und Kazimierz Brandys. Oder der große Miklós Mészöly, der 1974/75 als erster DAAD-Stipendiat aus Budapest ankam und eine regelrechte Ungarn-Connection begründete: von Péter Nádas und Péter Esterházy bis hin zu László Krasznahorkai.(Eine komplette Backlist findet sich unter www.lcb.de/service/publikationen/index.html ).

Die Bände waren nicht wirklich schön, sie bröselten mangels Rückgrat auch gerne auseinander, aber sie hielten einen weltliterarisch über Autoren auf dem Laufenden, die oft erst Jahre später bei normalen Verlagen ankamen - und das für ein Taschengeld: Mit acht Mark war man dabei. Nach Nummer 100 war Schluss, fast gleichzeitig mit dem Mauerfall. Jetzt hat der DAAD die alte Tradition mit drei von Barbara Richter herausgegebenen Klappbroschüren unter dem Reihennamen "Spurensicherung" wiederbelebt: in neuem attraktiven Design, das auf unterschiedlich getönten Rechteckelementen Buchtitel, Autorennamen und Fotoporträt hin- und herschiebt; mit stabilen Rücken und neuerdings ganz in eigener Verantwortung.

Gleich der erste Band ist eine Rarität, denn die Gedichte des Hongkong-Chinesen Leung Ping-kwan, die Wolfgang Kubin unter dem Titel "Von Politik und den Früchten des Feldes" übersetzt hat, liegen noch nicht einmal im Original vor. "Mit dem Unbegreiflichen leben" sammelt zwei Berlin-Essays des Ungarn László F. Földényi, der zuletzt mit seinem Kleist-Buch bei Matthes & Seitz Furore machte. Und der dritte Band, dem im Frühjahr ein weiterer Hattrick mit Titeln von Mircea Cartarescu, Bora Cosic und dem Nobelpreisträger und ehemaligen DAAD-Stipendiaten Gao Xingjian folgen soll, präsentiert "Air Mail", zwei Erzählungen des Amerikaners Jeffrey Eugenides ("The Virgin Suicides"): ein spannender Auftakt mit ausführlichen Porträtessays als Nachworten.

Die Jahre bis 1996 waren für die literarischen Veröffentlichungen der Stipendiaten nicht gerade ruhmreich. LCB und DAAD gingen eine 24 Bände währende Affäre mit dem Aufbau Verlag ein, der mit der Reihe "Text und Porträt" (TuP) trotz erstklassiger Autoren - von Walter Abish bis Carmen Boullosa - nie glücklich wurde. Danach tat sich der DAAD mit dem Münchner Babel Verlag zusammen und versenkte zuletzt erfolgreich Schätze wie Miklós Mészölys Roman "Familienflut" oder Bora Cosics Essays "Das barocke Auge".

Bessere Vertriebsstrukturen, lässt sich daraus lernen, befördern den Absatz nicht zwangsläufig, jedenfalls nicht auf einem Gebiet, wo ein harter Kern entdeckungslustiger Leser mit Mundpropaganda immer noch am meisten ausrichtet und die Präsenz in einigen wenigen Institutionen mehr nützt als ein kostspieliger Werbeetat.

Die Titel des Berliner Künstlerprogramms müssen Gott sei Dank kein Geld verdienen. Aber die Unkosten sollen sie natürlich wieder hereinholen - selbst bei einer Miniaturauflage von zunächst 500 Stück. Man muss sie sehen als Dokumente einer institutionellen Arbeit, die das neue Berlin genauso bereichert wie die alte Enklave; als Anstoß für die Verlage, die vor allem in Sachen Osteuropa ihre Neugier stark eingeschränkt haben; und als Sammlerstücke für die Literaturwahnsinnigen, ohne die es auch in Zukunft nicht geht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false