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Legendäre Landschaft. Luftaufnahme der Münchner Olympiaanlagen von 1972.

© picture-alliance/ dpa

Stadtplanung: Kommt in den totgesagten Park

In München droht dem Olympiagelände die Verwilderung. Zum 40-jährigen Jubiläum rufen Architekten zur Rettung auf. Die "Architektengruppe Olympiapark" hat eine Initiative zur "Wiederherstellung des Gesamterscheinungsbildes" des 160 Hektar großen Terrains gestartet.

Sie schufen das erste deutsche Sommermärchen, die Olympischen Spiele 1972 in München. Am 26. August vor 40 Jahren wurden sie unter einem so noch nie gesehenen, transparent schwebenden Zeltdach eröffnet, und die bis dahin biedere Bundesrepublik wirkte für ihre ausländischen Besucher auf einmal ungeheuer jung, weltoffen, charmant. Das hätte man den Deutschen nicht zugetraut.

Ein Symbol des Aufbruchs war eben jene grandios graziöse Architektur des Münchner Olympiageländes, das sich als sanfte Hügellandschaft über dem ehemals als Flughafen, dann als Kriegstrümmerlandschaft genutzten Oberwiesenfeld im Nordwesten von München-Schwabing erhob. Buchstäblich auf dem Erbschutt der Diktatur war in der früheren Hauptstadt der NS-„Bewegung“ etwas gänzlich Neues, Anderes entstanden. Ein Ensemble von Bauten und eine kunstvoll künstliche Parklandschaft, wie sie so ausstrahlungskräftig bis heute von keiner deutschen Nachkriegsarchitektur irgendwo sonst erreicht wurde. Einen An- und Nachklang erreichte später nur Norman Fosters gläserne Kuppel überm Berliner Reichstag: auch das ein Zeichen neuer Leichtigkeit und Durchlässigkeit.

Das halb offene Olympiastadion, die olympischen Hallen, ein eigens angelegter See, ein Amphitheater und ein Parcour für Zuschauer und Flaneure, locker verbunden durch die ingeniösen Zeltdächer. Es war das Werk der Stuttgarter Architekten Fritz Auer, Cord Wehrse, Günter Behnisch, Carlo Weber und Partner – sowie des zur Realisierung der zunächst für unmöglich gehaltenen Dachkonstruktion hinzugewonnenen Architekturgenies Frei Otto. Der hatte zwei Jahrzehnte zuvor bereits über „Das hängende Dach“ promoviert, war ein Schüler Mies van der Rohes – und hatte für Mies auch die noch unsichere Statik der 1968 eröffneten Neuen Nationalgalerie in Berlin gerettet.

Ausgerechnet zum 40. Jubiläum des Münchner Olympiaparks scheint freilich wieder eine Rettung vonnöten. Angeführt vom Architekten und Hochschullehrer Fritz Auer, einst Kompagnon des 2010 verstorbenen Günter Behnisch, hat die „Architektengruppe Olympiapark“ aus dem ehemaligen Büro Behnisch & Partner nun eine Initiative gestartet, die auf eine „Wiederherstellung des Gesamterscheinungsbildes“ des 160 Hektar großen Olympiageländes drängt.

Unterstützt von vornehmlich in München ansässigen Künstlern, Architekten, Unternehmern und Wissenschaftlern – vom Kabarettisten Dieter Hildebrandt bis zum Komponisten und Impresario Eberhard Schöner –, haben die Initiatoren jetzt eine Dokumentation vorgelegt, die in großformatigen Farbbildern eine kommerziell betriebene Verwahrlosung des Kulturdenkmals Olympiapark belegen soll. Man sieht Teile des Geländes vollgerummelt mit Wurst- und Pizzabuden, Getränkeständen, Bars und Boutiquen von Sponsoren und Merchandisern – das alles erinnert auch daran, wie in Berlin mit bedeutenden öffentlichen Plätzen, etwa rund um das Brandenburger Tor, gerne umgegangen wird.

Tatsächlich gibt es für das im Besitz der Landeshauptstadt München befindliche Gelände, auf dem seit den Spielen ’72 neben Sportveranstaltungen auch Konzerte, Kongresse, Messen und jede Menge Unterhaltungsevents stattfinden, ein Riesenproblem. Als die beiden Fußballklubs FC Bayern und 1860 München 2006 vom Olympiastadion in die neue Allianz-Arena umzogen, wurde das Zentrum des Geländes die meiste Zeit des Jahres über zur imposanten Hülle ohne wesentlichen Inhalt. Inzwischen wird dort immer mal wieder Beton ausgegossen, und für die Deutsche Touringmeisterschaft qualmen hochgetunte Motoren durch das einst auratische Oval.

Offizieller Pächter sind die Stadtwerke München, die das Gelände zum Gesamtbetrieb der Olympiapark München GmbH überlassen haben, deren Alleingesellschafter wiederum die Stadt München ist. Im Aufsichtsrat, der die GmbH kontrollieren soll, sitzen ausschließlich Stadtpolitiker und Stadtverwalter, kein Architekt, kein Vertreter des Sports oder der Kulturszene. Fritz Auer, der das erste Modell des berühmten Stadiondachs einst mithilfe eines aufgespannten Netzstrumpfs seiner Frau kreiert hatte, sagt uns heute: „Wären im Aufsichtsrat auch Personen des Öffentlichen Lebens und engagierte Bürger vertreten, könnte der ungehemmte Wildwuchs im Park nicht weiter stattfinden.“ So werde die zu Architektur und Parklandschaft kongeniale Optik der Signets und Wegweiser des Designers Otl Aicher, die ihrerseits zum Weltruhm des Ensembles beigetragen haben, mit einer „geschmacksfreien Verballhornung durch kommerzielle Schilder- und Fahnenwerbung mit Füßen getreten“.

Auer hat sich deswegen wiederholt an Münchens Oberbürgermeister Christian Ude gewandt. Doch Ude hat den Vorsitz im Olympiapark-Aufsichtsrat kürzlich niedergelegt, weil er als Spitzenkandidat der bayerischen SPD mit dem Landtagswahlkampf 2013 allzu beschäftigt sei. Münchens Bürgermeisterin Christine Strobl ist als Udes Vertreterin inzwischen im Aufsichtsrat nachgerückt. Sie gilt nach einem ersten Gespräch mit den Verteidigern des Olympiaparks als „sehr aufgeschlossen für die Sorgen“, ist aber noch bis September in den Ferien und war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Ziemlich anders sieht den Fall die Gegenseite. „Wir sind zu jedem Gespräch bereit, aber wir lehnen einen Einfluss der Architekten oder anderer Außenstehender auf unsere Logos und unser werbliches Outfit ab. Das hat nichts mit dem Urheberrecht der Designer und Architekten zu tun!“ Sagt auf Tagesspiegel-Anfrage Arno Hartung, stellvertretender Geschäftsführer und Leiter der Kommunikationsabteilung der Olympiapark GmbH. Es gebe „sicher einzelne Auswüchse bei der Optik irgendwelcher Würstelbuden, das ließe sich verbessern“. Aber sonst bitte kein Eingriff in „die unternehmerische Freiheit“. Hartung verweist darauf, dass bei einem jährlichen Gesamtumsatz von 33 bis 35 Millionen Euro der jährliche Zuschuss der Stadt München bei gut 10 Millionen liege. „Es ist unsere Leistung“, sagt Hartung, dass die GmbH das unvermeidliche Defizit eines derart aufwendig zu erhaltenden und zu unterhaltenden Geländes „so niedrig“ halte.

Das ist das eine. Das andere ist alles andere. Münchens Ex-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel hat einst gefordert, dass „die Gesellschaft die Kraft haben muss“, ein Denkmal ihrer eigenen Geschichte auch jenseits rein „ökonomischer Prinzipien“ zu erhalten. Einige Kraft wird München ohnehin aufwenden müssen, weil in den nächsten 20 Jahren gut 250 Millionen Euro für die Sanierung der Anlagen (ca. 70 Millionen allein für die Zeltdächer) veranschlagt werden.

Doch das beiseite: Was Münchens Olympiapark GmbH eben jetzt zum 40-jährigen Jubiläum, das neben den „heiteren Spielen“ auch die Tragik des Terrors gegen Israels Olympiateam mit einschließt, plant und betreibt, wirkt beschämend. Augenblicklich läuft auf dem zentralen Coubertin-Platz im Park ein öffentliches Wettgrillen, und am 26. August verheißt man dann eine „wahrhaft olympische Geburtstagssause“. Mit lokalen Privatradiosendern, dem ADAC, oder die „LG Stadtwerke München bieten eine Einführung in die Grundbewegungsarten des Laufens, Springens und Werfens für Groß und Klein“.

Ach ja, es war einmal ein großer Sommer 1972. In Bonn war das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt spektakulär gescheitert, die Fußballer wurden mit der besten deutschen Elf glanzvoll Europameister, in Kassel lief die tollste Documenta (von Harald Szeemann, mit Beuys und Amerikas Popart) – von all dem in München jetzt kaum ein Schimmer. Auch nicht davon, dass dieser Ort laut Fritz Auer bei internationalen Umfragen Platz eins unter Deutschlands bekanntesten Bauten einnimmt. Vor dem Kölner Dom.

Einen auswegweisenden Vorschlag macht nun der Münchner Philosoph Wilhelm Vossenkuhl, Unterstützer der Architekteninitiative und befreundet einst mit Otl Aicher: München möge bei der Unesco endlich die Anerkennung des Olympiaparks als Weltkulturerbe beantragen. Sei man dort erst mal auf der Liste, könnte das eigene Highlight nicht mehr so bedenkenlos verdüstert werden.

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