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Kultur: Stalins Lächeln

Daß die Polka nicht aus Polen, sondern aus Böhmen stammt, dürfte mittlerweile zum Allgemeinwissen gehören.Und wer behauptet, daß polnische Musik mehr zu bieten habe als die Melodiesprünge der Mazurka oder die Bergfiedler in den Westkarpaten, trägt sozusagen Wodka nach Warschau.

Daß die Polka nicht aus Polen, sondern aus Böhmen stammt, dürfte mittlerweile zum Allgemeinwissen gehören.Und wer behauptet, daß polnische Musik mehr zu bieten habe als die Melodiesprünge der Mazurka oder die Bergfiedler in den Westkarpaten, trägt sozusagen Wodka nach Warschau.Polens quirlige Jazz-Szene dagegen hat in Deutschland bisher kaum Beachtung gefunden.Anders in den USA.Selbst amerikanische Musikergrößen wie Miles Davis, Ella Fitzgerald, Chick Corea oder die Gebrüder Marsalis standen schon vor Jahren auf dem Programm des Warschauer Jazz Jamborees - des größten Jazzfestivals Osteuropas.Im Gegenzug spielten oder spielen zahlreiche polnische Jazzer regelmäßig in amerikanischen Bands.Grund für diesen regen Austausch: Hinter der Oder paaren sich fröhliche Tüftelei und Innovation mit musikalischem Hochtalent.

Wie es scheint, sind einige polnische Musiker auf der Weltbühne sogar bekannter als in ihrer Heimat.So etwa Michal Urbaniak, der 1973 in die USA auswanderte und sich dort mit seinem Lyricon, einem synthesizergesteuerten Rohrblattinstrument, im Jazzrock einen Namen machte.Oder der Trompeter Tomasz Stanko, der es verstanden hat, ähnlich wie Albert Mangelsdorff mit der Posaune, schillernde Solokonzerte zu geben.Tatsächlich spielte Stanko 1971 mit Mangelsdorff, Don Cherry und Gerd Dudek zusammen im European Free Jazz Orchestra.Der deutsche Jazzpapst Joachim E.Behrendt hatte ihn damals als "weißen Ornette Coleman" bezeichnet.

Daß Stanko, einer der Veteranen des Free Jazz, nun in Berlin auftreten wird, ist das Verdienst des "1.Polnischen Jazz Weekends", das im Rahmen der Zweiten Polnischen Kulturwoche stattfindet.Gleichzeitig stellt diese Konzertreihe erstmals auch den vielversprechenden polnischen Nachwuchs wie Piotr Wojtasek vor.Doch nur Tomasz Stanko, der beim Münchner Label ECM eine Hommage an seinen Lehrmeister Krzysztof Komeda veröffentlicht hat, erinnert sich als elder trumpetman noch an die Anfänge des modernen Jazz im stalinistischen Polen: "Komeda sagte uns bei den Proben gar nichts.Weder hätte er uns gesagt, ob unser Ansatz richtig, noch ob er falsch wäre.Er hätte nur gelächelt." Und weil die feinsinnige Experimentierfreude von einst auch im heutigen Know-how weiterlebt, bietet der polnische Jazz nach wie vor ein aufregendes musikalisches Spektrum.So vereint der Bassist Vitold Rek in seinem Quartett East West Wind Musiker aus drei Kontinenten und entwirft mit Saxophon, Posaune und Didgeridoo eine Art imaginärer Folklore.Hatte Komeda schon in den 60er Jahren die Filmmusik für Roman Polanski und Andrzej Wajda geschrieben, so wirken East West Wind wie eine Klangkulisse zum karg-experimentellen Theater von Tadeusz Kantor.Warum also in die Ferne schweifen? Der polnische Jazz liegt doch so nah!

East West Wind am 6.5., Piotr Wojtasek Quintet am 7.5., Tomasz Stanko & Band am 8.5., jeweils um 22 Uhr im Quasimodo.

ROMAN RHODE

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