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Kultur: Starke Orte

Jetzt ist ein Moderator gefragt: Perspektiven für die Berliner Architektur nach Hans Stimmann

Mit dem Aushängeschild, die größte Baustelle Europas zu bieten, kann Berlin zwar nicht mehr hausieren gehen, doch noch immer drehen sich die Kräne in Mitte. Manche Blütenträume der ersten Nachwendejahre wie die Hochhausplanungen für den Alexanderplatz scheinen endgültig geplatzt zu sein. Andere Großprojekte sind mittlerweile abgeschlossen. So beginnt etwa der Hauptbahnhof, im Alltag seinen Platz zu finden.

Wer Berlin vor zehn Jahren zum letzten Mal gesehen hat, erkennt die Stadt nicht mehr wieder. Doch wo viel gebaut wird, da fallen auch architektonische Hobelspäne durch den weiten Qualitätsrost. Nicht alle Glanzlichter vermögen das gebaute Mittelmaß zu überstrahlen. Eine Reihe Neubauten der letzten Jahre hätte daher gute Chancen, die goldene Architekturzitrone zu gewinnen. Etwa das KPMG-Gebäude auf dem Köbis-Dreieck, dessen weithin sichtbare, silbrig schimmernde Haustechnik auf dem Dach wirkt, als wolle sie in Konkurrenz zur Victoria auf der Siegessäule treten. Und die kürzlich eröffnete Steglitzer Shopping-Mall wurde im Architektur-Internetportal „Baunetz“ bereits als „aserbaidschanische Postmoderne“ verspottet.

Wichtiger als der Blick zurück ist allerdings der Ausblick in die Zukunft. Die Ära Stimmann ist in Kürze Vergangenheit, doch die Suche nach der Zukunft beginnt in Berlin eher zaghaft. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich nach 1990 die Fronten zwischen vermeintlichen Modernisten und kritischen Rekonstruierern schrittweise verhärtet haben. An die Stelle der offenen Diskussion traten ein in Naturstein gegossenes architektonisches Dogma und schließlich eine tiefe intellektuelle Ermüdung. Dies zeigte sich auch bei der Diskussion um die Bebauung des Kulturforums, die im vergangenen Sommer wie ein Strohfeuer aufflammte und doch nur Beiträge von bemerkenswerter Mittelmäßigkeit hervorbrachte. Geradezu idealtypisch tritt die Bürde des Stimmann’schen „Planwerks Innenstadt“ derzeit bei der Neubebauung an der Stelle des abgerissenen DDR-„Hotels unter den Linden“ zutage, wo der historisch enge Straßenverlauf zurückgewonnen wird.

Schwerer als die dort entstehende Bagatellbebauung wiegt freilich der Verlust der Aufweitung der Friedrichstraße zu einem kleinen Platz. Das ist besonders bedauerlich, da gerade die Friedrichstraße zwischen Unter den Linden und Bahnhof Friedrichstraße durch die Verdichtung der letzten Jahre ihre Maßstäblichkeit verloren hat. Da wird das „Planwerk“ zum bloßen Dogma. Statt den kleinen Platz aus DDR-Zeiten unwiderruflich zu zerstören, hätte es hier gegolten, die Qualitäten des Ortes zu erkennen und ihn als öffentlichen Raum weiterzuentwickeln.

Gerade darin liegt die Berliner Perspektive der Post-Stimmann-Zeit. Nachdem die Großprojekte weitgehend abgearbeitet sind, gilt es, sich punktuell der Stadt zuzuwenden, um Orte mit spezifischen Eingriffen zu schaffen. Dafür gibt es in Berlin bereits einige gute Beispiele. Die Bauten von Grüntuch und Ernst am überaus belebten Hackeschen Markt etwa, die sich in gläserner Prägnanz in den Kontext der Bebauung einfügen, oder das Projekt Slender/Bender von deadline Architekten, die mit ihrem schmalen Neubau der Hessischen Straße einen Akzent verleihen. Doch auch an der Peripherie definieren neue Bauten kraftvolle Orte. Dazu gehört das Einkaufszentrum von Riccius und Winter im Schweizerviertel an der Steglitzer Goerzallee. Mit der Kombination aus dunklem Ziegel und Holz als übergeordnetem Gestaltungsmerkmal, zusätzlich durch ein dezentes Ziegel-Kreuz-Dekor strukturiert, zeigen die kubischen Bauten eine einheitliche Handschrift, die so kraftvoll ist, dass sie sogar die Banalität der Reklametafeln aushält.

Vor allem aber gilt es, die Stadt intensiver als bisher aus dem Bestand heraus zu entwickeln. Hier kann Berlin ökonomisch wie ökologisch eine Vorreiterrolle einnehmen. Die Bewag-Bauten oder das „Meilenwerk“ in Moabit zeigen dazu Lösungsansätze. Der drohende Abriss der denkmalgeschützten Fernmeldekabelfabrik in Oberschöneweide dagegen konterkariert das Bild einer Stadt, die sich mit ihrem baulichen Erbe identifiziert.

Doch nicht nur denkmalgeschützten Bestand gilt es zu bewahren. Wie ein DDR-Bau der Siebzigerjahre kunstvoll zukunftsfähig gemacht werden kann, zeigt beispielsweise das Büro „tectur“. An der Gotlindestraße in Lichtenberg versieht es einen Stahlskelettbau für seine künftige Rolle als Arbeitsagentur mit einer reizvollen farbigen Glasfassade.

Anstelle von Dogmen und Regelwerken ist in Berlin ein offener Umgang mit Architektur und Städtebau gefordert. Die Stadt braucht weder eine historisierende Aufhübschung ihres Zentrums noch eine Inszenierung durch Landmarken, wie sie in anderen europäischen Metropolen zu beobachten ist. Wichtiger ist es, ein neues Architekturklima zwischen den Beteiligten zu schaffen, von der Verwaltung über die Investoren bis zu den Architekten und Nutzern. Ein Klima des Diskurses, mit dem Ziel, aus den unterschiedlichen Gegebenheiten in Hellersdorf, Mitte oder Zehlendorf jeweils eine für diesen speziellen Ort stimmige Architektur zu entwickeln. Um den anstehenden zweiten Veränderungsschub Berlins seit der Wiedervereinigung zu managen, ist die Position des Senatsbaudirektors unverzichtbar. Die schon seit längerem erhobenen Forderungen aus CDU und PDS, dieses Amt nach der Ära Stimmann abzuschaffen, weisen nicht in die Zukunft einer architekturbewussten Stadt. Allerdings bedarf es künftig anstelle eines durchsetzungsfähigen Dogmatikers eines Moderators, der zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen vermittelt – im Interesse des Ortes und mit dem unbedingten Willen zu gebauter Qualität.

Jürgen Tietz

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