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Prosa als Pop-Art. Die 1934 geborene Schriftstellerin und Journalistin Joan Didion als junge Frau.

© imago/Julian Wasser

Starreporterin und Schriftstellerin: Als Joan Didion durch die Südstaaten reiste

1970 begibt sich die Schriftstellerin Joan Didion auf eine Reise durch den Süden der USA. Nun erscheinen ihre Aufzeichnungen als Buch. Sie sind eine Chronik voll funkelnder, fließender Sätze.

Zum Süden gehören die Sonne, der Schweiß und der Stillstand. Als Joan Didion 1970 nach Louisiana fliegt, um eine Rundreise durch die amerikanischen Südstaaten zu beginnen, ist sie von der „Kunst der Reglosigkeit“ beeindruckt. „In New Orleans sitzen die Alten vor den Hotels auf der St. Charles Avenue in Schaukelstühlen, fast ohne zu schaukeln“, schreibt sie. Es ist Juni, die Sommerluft hängt schwer über der Stadt, die berühmt ist für ihren Mardi-Grass-Karneval und seine Trauerzüge, bei denen die Toten mit Jazz zu Grabe getragen werden. Meteorologischer Hochdruck vereint sich mit einem Gefühl von Sex und Tod. „Kein brutaler Tod, aber Tod durch Verfall, Überreife, Verrotten, Tod durch Ertrinken, Ersticken, Fieber.“

An einem Nachmittag sieht Didion, wie eine Frau in ihrem Auto stirbt. Ein Unfall, die Frau ist gegen einen Baum gefahren und fällt nach vorn auf das Lenkrad. „Tot“, sagt eine alte Dame, die neben Didion auf dem Gehweg steht. Didion folgt der Dame in ein Café, wo sie sich mit der Kellnerin unterhält. „Wer hat Schuld?“, fragt die Dame. Die Kellnerin: „Niemand ist schuld, Miss Clarice.“ Die Dame: „Sie können nichts dafür, nein.“ Aber sie sprechen nicht über den Tod, sondern übers Wetter. Ein Freund der Dame arbeitet in der lokalen Wetterstation und hat ihr versichert, dass die Meteorologen für Phänomene, die vom Radar erfasst werden, nichts könnten. Dem Wetter ist der Mensch genauso ausgeliefert wie dem Tod.

Manche Dialoge erinnern an absurdes Theater

Joan Didions Buch „Süden und Westen“ ist voll solcher Szenen, in denen sich Smalltalk und Schrecken mischen. Die Menschen, denen Didion begegnen, sind Lakoniker und Fatalisten. Die Schriftstellerin hält fest, was sie aufschnappt. Manche Dialoge gleichen Sketchen, andere erinnern an absurdes Theater. Didion ist 35 Jahre alt, sie hat in Kalifornien studiert und arbeitet als Starreporterin für Magazine wie „Vogue“ oder den „New Yorker“. Im Süden entdeckt sie eine Gegenwelt zu den Ost-und Westküstenmetropolen New York und Los Angeles mit ihrer Schnelligkeit und ihrem Zynismus. Lange vorher, 1942/43, hat sie mit ihrer Familie in einer Stadt in North Carolina gelebt, wo der Vater bei der Army stationiert war. Seither ist sie nicht mehr in Dixieland gewesen, das sich aber „nicht sehr verändert“ zu haben scheint.

Die Agonie des Südens und das Gefühl, seit dem Bürgerkrieg auf ewig zu den Verlierern zu gehören, hat schon William Faulkner beschrieben, dessen Haus in Oxford, Mississippi, Didion besucht. Faulkner war ein Rebell, die Leute aus Oxford mochten ihn nicht. Auf dem Friedhof sucht Didion stundenlang vergeblich sein Grab. „Ich dachte, wenn ich eine Blaupause seines Grabsteines mitnehmen würde, würde ich jedes Mal, wenn ich sie anschaute, wissen, dass die Meinung anderer so oder so nicht viel zählte.“

Eigentlich ist Didion unterwegs, um Material für eine Reportage zu sammeln, die sie dann aber doch nicht schreibt. Einen journalistischen Anlass für die Reise gibt es nicht, „keine berühmten Morde, Gerichtsverfahren, Integrationsverfügungen, Auseinandersetzungen, nicht einmal gefeierte Taten Gottes“. Didion folgt einzig ihrer Neugier, und dass sie ihre Aufzeichnungen fast ein halbes Jahrhundert später erstmals veröffentlicht, hebt sie aus der Tagesaktualität in die Sphäre des Literarischen. Sie als „Notizen“ zu bezeichnen ist pures Understatement. Für Notizen sind die Sätze zu ausgefeilt, der Ton zu poetisch. „Süden und Westen“ ähnelt mehr einem Kurzroman als einem Reisebericht, die Impressionen funkeln in dem für Didion typischen Mischmasch aus Präzision, Anmut und Ironie.

Als teilnehmende Beobachterin besucht Didion ein Pony-League Spiel und eine Schlangenfarm, sie trinkt Bier mit Leuten, die in einer Bar an der Landstraße hocken, und lässt sich vom Besitzer eines Radiosenders beim Mittagessen in einem Hotel erklären, warum er zwar niemals einen Schwarzen einladen würde, aber trotzdem kein Rassist ist: „Wir sind immer noch zwei Generationen entfernt von absoluter Gleichberechtigung, aber so ist das auch in Chicago, in Detroit, und waren sie mal in Harlem?“ Dass Didion zwar verheiratet ist, aber keinen Ehering trägt, erregt genauso Aufsehen wie die Tatsache, dass sie sich am Swimmingpool eines Motels im Bikini zeigt. „Auf jeder sozialen Ebene die geballte Männlichkeit, der Fokus auf Jagen und Fischen. Lass die Frauen bei ihrem Kochen, ihrem Einwecken, ihrem ,Aufhübschen’ bleiben.“

Auf der Suche nach den eigenen Wurzeln

Die Passagen über den Westen, aus Kalifornien, wo Didion ohnehin lebt, spielen sechs Jahre später. Sie sind wesentlich kürzer und weniger interessant. Vielleicht weil die Fremdheit fehlt. Didion soll einen Text für den „Rolling Stone“ über die Milliardärstochter Patty Hearst schreiben, die 1976 in San Francisco vor Gericht steht, weil sie sich den Terroristen angeschlossen hat, die sie entführten. Auch aus diesem Artikel wird nichts. Stattdessen schreibt Didion über ihre journalistischen Anfänge beim Lokalblatt „Sacramento Union“, ihre Schulzeit und ihre Großmutter, die arm war, sich aber den Luxus leistete, extravagante Hüte zu kaufen. Didion sucht nach ihren Wurzeln, sie will nicht mehr über andere erzählen, sondern über sich: „Ich versuche, mich in der Geschichte zu verorten.“

Didion ist eine große Chronistin Amerikas und ihrer Menschen, und manchmal, wenn sie auf der US-Fernverkehrsstraße 82-W fährt und aufschreibt, was sie durch die Autoscheiben sieht, beginnen ihre Sätze schwerelos zu fließen: „Heckaufkleber: ,Jahwe vs. Evolution/Mach keinen Affen aus dir’, Tigerlilien, Go Tide, Roll Tide, der Anfeuerungsruf für die Athleten der Universität von Alabama.“ Prosa als Pop-Art.

Joan Didion: Süden und Westen. Notizen. Aus dem Amerikanischen von Antje Rávic Strubel. Mit einem Nachwort von Nathaniel Rich. Ullstein Verlag, Berlin 2018. 160 S., 18 €.

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