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Kultur: Sterntaler

Stephanie Nannen über Luftschlösser und himmlische Geschenke „Weißt du, wieviel Sternlein stehen, an dem blauen Himmelszelt?“, fragte Wilhelm Hey Anfang des 19.

Stephanie Nannen über Luftschlösser und himmlische Geschenke

„Weißt du, wieviel Sternlein stehen, an dem blauen Himmelszelt?“, fragte Wilhelm Hey Anfang des 19. Jahrhunderts in seiner Volksweise, die Kindern allerorts zum Einschlafen, gern auch zum herbstlichen Laternenlauf vorgesungen wird. Merkwürdig, dass den Eltern niemals auffiel, dass dieses Lied weder zur einen noch zur anderen Gelegenheit wirklich passte. „Gott im Himmel hat an allen seine Lust, (...) kennt auch dich und hat dich lieb.“ Gut, vielleicht gilt das immer und überall und war damals, was heute die Fahrstuhlmusik ist. Aber, um auf Heys Frage zurückzukommen: Natürlich kennen wir die genaue Anzahl der Sterne nicht. Nicht auszudenken, was der Welt an Romantik verloren ginge, wäre die blaue Weite endlich und die Sterne abgezählt. Vor allem aber wäre der Gefühlsschwärmer in uns um eine ungemein individuelle Variante des Liebesbeweises ärmer: Er könnte keinen der funkelnden und im Zweifelsfall längst verglühten Himmelskörper kaufen – oder zumindest taufen – und ihn dann dem Herzblatt schenken. Denn, dem worldwideweb sei Dank, das Erwerben von Sternen ist neuerdings per Mausklick eine Kleinigkeit, sofern man die richtige Netz-Adresse hat: zum Beispiel www.ich-will-sterne.de .

Wer aber würde so dämlich sein, mal eben einen Stern zu kaufen, wenn er wüsste, dass die Gestirne nicht im Überfluss vorhanden sind? Nachher triebe ein Bauernfänger sein Spiel mit dem gutgläubigen Liebenden und verkaufte seinen Stern (woher hat er den eigentlich?) gleich mehrere Male. Zum Glück bleiben wir die Antwort auf die Frage aus dem Kinderlied schuldig. Es gibt unzählige Sterne im Angebot, so dass jede Gaunerei sich erübrigt. Seltsam nur, dass die heller Leuchtenden gleichzeitig die teuersten im Netz sind. Und irgendwie ist es auch nicht fair, dass nur die Internationale Astronomische Union in den USA die Nomenklatur am Himmel bestimmen darf und mein Tauf niemals den Weg auf die Sternenkarten finden wird.

Alternativ bieten Berliner Schlossliebhaber jetzt auch an, Teile der noch aufzubauenden Hohenzollernresidenz als Präsent zu erwerben. Eine Säule, ein Kapitell, was darf’s denn sein? Noch haben Sie die freie Wahl im Internet. Und eine „Patenschaftsurkunde“ gibt es auch. So kann man seiner Geliebten statt echter Brillanten virtuelle Schlösser schenken oder endlich die Sterne vom Himmel holen. Romantisch? Nein, eher billig. Die Spaßkultur wird zur Sparkultur.

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