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Extrem-Perfomance bei den Berliner Festspielen: „Put your heart under your feet… and walk!“ von Steven Cohen.

© Pierre PLANCHENAULT

Steven Cohen bei den Berliner Festspielen: Die Asche des Geliebten

Eine Extrem-Performance zum Thema Tod. Der südafrikanische Performancekünstler Steven Cohen zeigt zum Auftakt der Performing Arts Season sein Solo „Put your heart under your feet ... and walk!“.

Von Sandra Luzina

Die Bühne ist übersät mit Spitzenschuhen. Erweitert beispielsweise mit Kreuzen werden sie in Lichtquadraten wie Kunst- und Kultobjekte ausgestellt. Der südafrikanische Performancekünstler Steven Cohen zeigt zum Auftakt der Performing Arts Season sein Solo „Put your heart under your feet ... and walk!“ auf der Hinterbühne des Berliner Festspielhauses. Das Stück ist ein Requiem für seinen 2016 verstorbenen Partner Elu Johann Kieser.

20 Jahre war Cohen mit dem Balletttänzer zusammen. Als er nach dessen plötzlichen Tod seine schwarze Ziehmutter Nomsa fragte, wie er mit dem Verlust fertigwerden solle, gab die ihm den Rat: „Put your heart under your feet ... and walk!“ Cohen hat das auf seine Weise beherzigt: Im anfänglichen Video ist zu sehen, wie er sich den Spruch auf die Fußsohle tätowieren lässt, also dort, wo es besonders weh tut.

Cohen fügt sich wiederholt phyische Schmerzen zu, als könne er nur so die Realität des Todes begreifen. Doch nicht nur deswegen tendiert diese Trauerzeremonie, die Installation, Performance und Video verbindet, ins Extreme. Schon seit 2017 führt Cohen, der weiße schwule jüdische Südafrikaner, dieses Solo zum Gedenken an Elu regelmäßig auf, er durchlebt und durchleidet das Ritual jedes Mal, treibt es aber auch in eine große Künstlichkeit, tritt als Drag-Elfe und mit aufwendigem Make-Up auf.

Zuschauer verlassen den Saal

Sein weiß geschminkter Kopf ist mit Glitzersteinen,falschen Wimpern, floralen Mustern und Schmetterlingsflügeln bedeckt und erinnert an ein Fabergé-Ei. Im Video sieht man zunächst, wie dieses Fantasiegeschöpf auf hohen Plateauschuhen durch einen verwunschenen Garten stakst. Auf der Bühne dienen ihm zwei weiße Miniatursärge als Kothurne, schwarze an Hufe erinnernde Schuhe sind darauf befestigt. Derart erhöht, bewegt Cohen sich schwankend mit Krücken durch den Raum und mutet dabei schon mal wie ein riesiges Insekt an.

Aber nicht nur das extrem Artifizielle der Performance irritiert, da es den Ausdrucks des Inneren überformt und Einfühlung verhindert. Verstörend sind die Videos, die Cohen in weißem Tüll-Tutu in einem Schlachthof zeigen. Man sieht, wie Rinder getötet werden, wie sie aufgehängt werden zum Ausbluten und dann zerlegt werden.

Die Bilder des industriellen Tötens sind so unerträglich, dass viele Zuschauer den Saal verlassen. Schwer auszuhalten ist aber auch, wenn Cohen zuerst mit stilisierten Bewegungen sein Gesicht mit Blut beschmiert, um sich dann in einer Wanne in dem Blut der toten Tiere zu suhlen und so versucht, diesen grausamen Vorgang noch zu ästhetisieren.

Abgesehen von der Schlachthofszene bewegt sich die Performance auf einer rein privaten Ebene. Es gibt überaus sentimentale Momente, wenn Cohen sich vier Grammophone um den Leib schnallt und den Lieblingssong von Elu abspielt. Die mit fünf Kandelaber dekorierte Bühne wirkt wie ein Mausoleum. Zum Schluss zündet Cohen die Kerzen an und spricht ein Sabbat-Gebet. Er kennt sich mit jüdischen Traditionen aus, überschreitet hier aber bewusst religiöse Grenzen. Er will sein eigenes Trauerritual erschaffen.

Der Provokateur ist aber auch ein großer Romantiker. Er wolle für immer bei ihm bleiben, sagte ihm Elu auf dem Sterbebett. Cohen erfüllt ihm den Wunsch: Aus einem Kästchen entnimmt er einen Löffel mit der vermeintlichen Asche des Verstorbenen und isst sie. „Du bist in mir begraben. Ich bin dein Grab“, sagt er mit sanfter Stimme. Eine morbide Beschwörung ewiger Liebe.

Cohen zelebriert das Leiden. Er sucht nach Momenten der Schönheit, er sucht aber auch nach einem Weg, um weiterleben zu können. Am berührendsten ist das Finale: Wenn Cohen einen Teil seiner Schminke und Rüstung abnimmt, erscheint er nahbar und zerbrechlich.

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