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Kultur: Stille Blicke

Porträts von Roger Melis bei Argus Fotokunst

Die einen sind müde, die anderen geschäftig. Auf diesen Nenner könnte man die Künstlerporträts aus vier Jahrzehnten von Roger Melis bringen. Eine vierzig Arbeiten umfassende Auswahl zeigt nun die Galerie Argus Fotokunst. Die Müden lebten im Osten, die Geschäftigen im Westen Deutschlands. Dazwischen gab es die Weltenwanderer wie die Lyrikerin Sarah Kirsch, die 1977 auf den kurioserweise russisch beschrifteten Kisten sitzt, in die sie ihre Siebensachen verstaut hat, um von der Berliner Fischerinsel ins ruhige Schleswig-Holstein zu ziehen. Fünf Jahre zuvor hatte sie sich von Roger Melis noch mit einer Zigarette vor einer Che-Guevara-Ikone fotografieren lassen.

Wer in der DDR Künstlerporträts brauchte, wandte sich an den 1940 geborenen Melis, der anfangs noch als wissenschaftlicher Fotograf der Charité sein Brot verdiente, bis er immer öfter, in eigenem oder fremdem Auftrag, in das „stille Land“ zwischen Oder und Harz aufbrach. Schon 1968 saß ihm die sichtlich gealterte Anna Seghers in ihrer Adlershofer Wohnung Modell, den Kopf mit dem Arm auf eine Stuhllehne gestützt, als sei die Autorin des vielen Nachdenkens über die Irrwege des Sozialismus überdrüssig. Ihre liebste Schülerin Christa Wolf hielt Melis erst 1983 an dem von Manuskripten bedeckten Schreibtisch fest: Die Brille in der Hand, schaut sie den Fotografen an wie einen Vertrauten.

Dieser Blick von Mensch zu Mensch ist ein Signum Melis’scher Porträtfotografie. Doch gibt es auch andere Blickrichtungen. Der Bildhauer Wieland Förster sitzt 1996 mit niedergeschlagenen Augen resigniert vor einem Halbdutzend Kleinplastiken, als hätte den einst hochgerühmten Künstler die Schwermut übermannt. Franz Fühmann versteckt 1981 seinen massigen Körper fast hinter einem Mauervorsprung, als wolle er an die Mauer als Hindernis allen Denkens erinnern. Günter Grass dagegen, den Melis in dessen Berliner Büro besuchte, telefoniert eifrig – ein Mensch in Aktion.

Auch berühmte Kollegen hat Melis festgehalten: den väterlichen Freund Arno Fischer, den Amerikaner Robert Frank oder die zu wenig bekannte Deutsch-Chinesin Eva Siao. Auch sie gehören zu seinem fotografischen „Who is Who?“ der deutschen Kulturszene zwischen 1962 und heute, einer Porträtgalerie der Stillen und weniger Stillen im gespaltenen Land, deren Wort und Werk zur Literatur- und Kunstgeschichte gehören. Hans-Jörg Rother

Galerie Argus Fotokunst, Marienstr. 26, bis 26. April, Di.–Sa. 14–18 Uhr

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