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Kultur: Stillen ist praktisch

Alter Feminismus, neue Frauen: Elisabeth Badinters Streitschrift über Mütter

Glaubt man der französischen Philosophin Èlisabeth Badinter, bringt eine vorherrschende „Naturalistische Offensive“ viele junge Mütter um gerade erst errungene Freiheiten. Badinter beschreibt in ihrem in Frankreich zum Bestseller avancierten Buch „Der Konflikt. Die Frau und die Mutter“ einen psychosozial und ökologisch verbrämten „Zurück-zur-Natur“-Zeitgeist. Dieser verlange Müttern – wieder – mehr Engagement für ihr Kind ab (Stillen, lange Betreuung) und formuliere implizit Leitlinien zu einer „perfekten Mutterschaft“, die längst überwunden schienen.

So weit Badinter einen modischen „Differenzfeminismus“ kritisiert , der die Unterschiede zwischen Mann und Frau hervorhebt und aus Frauen die „von Natur aus“ besseren Kinderbetreuerinnen macht, stimmt man ihr gern zu. Aber ihr viel diskutiertes Buch ist leider vor allem Zeugnis eines anderen Konflikts: dem von Frauen untereinander, zwischen einer älteren Generation von Feministinnen und einer jüngeren Generation. Ob letztere sich nun anders kleidet oder länger stillt: Die Älteren verfolgen das mit Argusaugen und halten mit Kritik nicht hinterm Berg.

Ähnlich wie bisweilen Alice Schwarzer (Jahrgang 1942) in Deutschland, reagiert die 1944 geborene Badinter gereizt auf den angeblich fehlenden feministischen Impetus jüngerer Frauen. Badinters Kritik an einer überbordenden Ratgeber-Kultur, die junge Mütter dazu zwingt, „gute Mütter“ zu sein, hat stellenweise seine Berechtigung. Störend aber ist dieser Unterton: Wir Feministinnen-Mütter mit Revolte-Vergangenheit haben damals alles richtig gemacht – warum entscheiden sich junge Frauen heute anders? Schon im Buchtitel insinuiert Badinter eine keineswegs zwangsläufig bestehende Kluft. Die Interessen der „Frau“ und der „Mutter“ seien diametral entgegengesetzt. Badinter unterstellt, eine Frau wäre nur dann frei und glücklich, wenn sie ihr Kind nicht am Hals hat. Kinder und Eltern können bei ihr niemals gemeinsame Interessen haben.

Ebenso befremdlich wirkt Badinters Feldzug gegen das Stillen. Von „Still-Ayathollas“ spricht sie allen Ernstes und stellt die harmlose, in Frankreich agierende und Handbücher rund ums Stillen vertreibende „La Leche League“ wie eine internationale Verschwörer-Organisation dar. Badinter analysiert die neue Hinwendung zum Stillen als Rückschritt, weil Frauen so vom Arbeitsleben ausgeschlossen würden. Nur: Welche Mutter schlägt schon einen Job aus, weil sie stillen muss? Es gibt Milchpumpen. Und die Mindestempfehlungen belaufen sich nur auf wenige Monate. Doch Badinter scheint hierin eine Veruntreuung des guten alten Feminismus zu wittern.

Allein, dass Kinder heutzutage der Mutter direkt nach der Geburt auf den Körper gelegt werden, empfindet sie schon als Signum des neuen „Naturalismus“, in dem sie nur eine Einengung der Bewegungsfreiheit der Frau sieht. Badinter scheint nur unglückliche junge Mütter zu kennen, die vom Baby geknechtet vereinsamt zu Hause sitzen, sich nach Arbeit verzehren und daran gehindert werden. Weil sie perfekte Mütter sein wollen. Weil sie stillen sollen. Weil sie ihr Kind nicht fremdbetreuen lassen wollen. Kennt Badinter „neue“ Mütter wie in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, (sie schreibt auch explizit über Deutschland), die sich im Café unterhalten oder Zeitung lesen, während der Nachwuchs sich in der Tobe-Ecke vergnügt? Die selbstverständlich arbeiten und, wenn der Staat nicht genug Kita-Plätze bereitstellt, eine eigene Kita gründen? Die stillen, nicht weil die La Leche League dazu rät, sondern weil es praktisch im Alltag und auf Reisen ist und obendrein Geld spart?

Ebenso altbacken wirkt Badinters Klage darüber, dass Frauen in den sechziger Jahren noch in der Schwangerschaft rauchen konnten – als könnten sie es heute nicht, jede vierte Frau tut es. Auch geht sie für Deutschland von falschen Zahlen aus: 28 Prozent aller deutschen Akademikerinnen hätten sich aus freien Stücken gegen ein Kind entschieden, so Badinter, die darauf in dem Kapitel „Der Gebärstreik“ eine falsche Theorie gründet: Vom perfekten Mutterbild überforderte deutsche Frauen verweigern sich dem Kinderkriegen. Über 200 florierende Kinderwunschpraxen und -kliniken in Deutschland vermitteln ein anderes Bild. Viel zu lange Ausbildungswege, die viele Frauen erst mit Mitte dreißig an ein Kind denken lassen, erwähnt Badinter nicht. Dabei ist einer der Hauptgründe für Kinderlosigkeit hierzulande der zu späte Versuch, ein Kind zu bekommen.

Merkwürdig mutet auch an, dass Badinter wie eine CSU-Politikerin auf die Geburtenrate eines Landes pocht. Je mehr Kinder, desto besser, scheint auch ihre Devise. Warum man mehr Kinder bekommen soll, die man dann so schnell wie möglich wegorganisieren soll, anstatt ein oder zwei, für die man mehr Zeit aufbringen kann, bleibt unklar. Badinters feministisches Verständnis ist typisch für ihre Generation: emanzipiert sein bedeutet, sich ebenbürtig in eine männlich dominierte Arbeitswelt einzufügen. Badinter beschwert sich über Teilzeit arbeitende Frauen, als wäre der Verzicht auf eine volle Stelle ein zu großes Zugeständnis an Kinder und Familie. Dabei geht es heute nicht mehr darum, dass Frauen aus Karrieregründen die gleichen Defizite wie Männer im Privatleben in Kauf nehmen müssen, sondern Arbeit gerechter und im Sinne einer Work-Life-Balance für Frauen und Männer zufriedenstellender aufgeteilt wird. Die Arbeitsgesellschaft muss Frauen und Männern eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen – dafür sollte sich ein zeitgenössischer Feminismus einsetzen.

Die Frau im Kostüm, die sofort nach der Entbindung wieder am Arbeitsplatz sitzt – so wie die französische Justizministerin Rachida Dati, die fünf Tage nach der Geburt ihrer Tochter zur Kabinettsitzung im Elysée-Palast erschien –, scheint Badinters Ideal zu sein. Statt perfekter Mutter plädiert Badinter für die perfekte Frau. Das ist auch keine Entlastung.

Elisabeth Badinter: Der Konflikt. Die Frau und die Mutter. Aus dem Französischen von Ursula Held und Stephanie Sing. Verlag C.H. Beck,

München 2010.

222 Seiten, 17, 95€.

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