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Kultur: Stockhausen: Immerhin ehrlich

Der Künstler Karlheinz Stockhausen hat nach seiner Äußerung, bei dem Anschlag auf das World Trade Center handele es sich um "das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat", die erwartbare moralische Verurteilung erfahren. Stockhausens Faszination darüber, dass "Geister in einem Akt etwas vollbringen können, was wir in der Musik nicht träumen können, dass also Leute üben verrückt, total fanatisch für ein Konzert, und dann sterben", verlässt wenige Tage nach der Auslöschung von fünftausend Menschenleben unziemlich die Sphäre von Mitleid und humanistischem Konsens.

Der Künstler Karlheinz Stockhausen hat nach seiner Äußerung, bei dem Anschlag auf das World Trade Center handele es sich um "das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat", die erwartbare moralische Verurteilung erfahren. Stockhausens Faszination darüber, dass "Geister in einem Akt etwas vollbringen können, was wir in der Musik nicht träumen können, dass also Leute üben verrückt, total fanatisch für ein Konzert, und dann sterben", verlässt wenige Tage nach der Auslöschung von fünftausend Menschenleben unziemlich die Sphäre von Mitleid und humanistischem Konsens. Nun ist Applaus für spektakuläre Vernichtungsarbeit nicht neu: die italienischen Futuristen, Ernst Jünger und auch Goebbels mit seiner "stählernen Romantik" haben die Faszination am ästhetischen Schein grauenhafter Spektakel durchgespielt. Natürlich steckt in dieser verbotenen Ekstase immer ein Moment spontaner Empfindung. Dass das explosive Eindringen eines Jumbo-Jets in Stahl und Beton Katastrophenlust auslöst, bedarf keines weiteren Kommentars.

Stockhausen hat also mit einem gewissen Verlust an Selbstkontrolle und auch wohlfeilem Avantgarde-Habitus ein Gefühl beschrieben, das sich durch die Trennung von physisch erfahrbarem Ereignis und seiner technischen Übertragung bei den meisten Beobachtern naturnotwenig einstellt. Er war immerhin ehrlich, und es geht bei ihm auch nicht um ein Reflexions-Business, das in den letzten Tagen vor allem in den Zeitungs-Feuilletons unangenehm auffällt. Hier ist ein Wettbewerb von Intellektuellen um die originellste Interpretation des Anschlags ausgebrochen, den man angesichts des realen Grauens nur mit Widerwillen zur Kenntnis nehmen kann. Die Kulturteile erklären uns das World Trade Center als Doppelerektion der Moderne, Amerika als Innenraum und Bin Laden als Ikone - das ist alles nicht falsch und auch mit manchem klugen Gedanken versehen. Aber hier tobt doch ein merkwürdig eifernder und auf Effekt bedachter Wettbewerb um den schönsten Besinnungsaufsatz zum Big Bang. Der nächste Schritt wäre bei kommenden Katastrophen die jeweils passende Kulturanalyse in Echtzeit, wahlweise von Virilio, Theweleit oder Durs Grünbein, als Talkshow oder zum Herunterladen. Hier wird ein strukturelles Defizit des Feuilletons sichtbar, das sich mit schnellen halbphilosophischen Stellungnahmen gegen die Konkurrenz politischer Reportagen oder schnöder ökonomischer Folge-Analysen behaupten will. Während sich in New York Verwesungsgeruch ausbreitet, wird im Kulturteil bereits fresh thinking eingefordert.

Verglichen mit dem coolen Thesen-Dropping der Symbolisten, Apokalyptiker und Psychohistoriker sind Stockhausens Gedanken zwar schwer tolerabel, aber in ihrer Ungeschütztheit wahrhaftig. Seine Tochter Mariella übrigens will nie wieder unter dem Namen Stockhausen auftreten. So weit reichen also die Wirkungen des Terrors.

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