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Kultur: Stolze Diener

Durch die Jahrzehnte: Makellose Kombinationen in der Galerie Chouakri

Auf dem schneeweißen Webpelz der Schweizer Zeitgenossin Sylvie Fleury hängen Jean Dubuffets Reminiszenzen an verbrannte Erde. Für „Stony Road“ hat der Künstler 1959 schwarze Steine auf die Leinwand gemalt oder aus Papier aufgeklebt (100 000 Euro). Der lange, manchmal steinige Weg der Kunst im 20. Jahrhundert offenbart sich in der neuen Ausstellung der Galerie Mehdi Chouakri. Vom düsteren Nachbeben des Zweiten Weltkriegs bis zur verspielten Üppigkeit der neunziger Jahre, von existenzieller Verzweiflung bis zur ironischen Pointe, von psychologischen Erkundungen des Unterbewussten bis zur Reduktion aufs reine Material.

„Au Pied du Mur“ ist Teil des Austauschprojektes Berlin-Paris. Bei Chouakri haben die Künstler der Galerie die Wände gestaltet, die Bilder stammen aus der Pariser „Galerie 1900–2000“. Geht das, fragt man sich unwillkürlich vor den Medusen, die John Armleder über die Wand schweben lässt (100 000 Euro). Darauf hängen „mechanische Kompositionen“ von Francis Picabia (190 000 Euro). Die stummen, blauen Quallen des Schweizers treiben in einem ganz anderen künstlerischen Kosmos als die scheinbar technischen Zeichnungen des Franzosen. Doch Picabia macht sich lustig über die Vernunft, ihn fasziniert die Sinnlichkeit. Dezent eröffnen die Medusen mit dem geheimnisvollen Namen Polyporous Umbellatus diesen erotischen Horizont in Picabias Werk, ohne dass die Blätter selbst darüber Auskunft geben.

Einen Unbekannten entdeckt die Ausstellung neu. Adolphe von Harbou, Offizier im Ersten Weltkrieg und Cousin der Drehbuchautorin Thea von Harbou, hat erst Kriegsszenen, dann Fratzen der Gesellschaft gezeichnet (850–1000 Euro). In der Galerie hängen die Miniaturen auf der geradlinigen Wandgestaltung von Gerwald Rockenschaub. Die Schmuckhaftigkeit der kleinen Zeichnungen wird gedämpft von Edda Renoufs monochromen Partituren. Die in Paris lebende Amerikanerin empfindet den Klang eines Ortes nach, indem sie Fäden aus der Leinwand zupft und der Struktur des Materials einen neuen Rhythmus verleiht (5000 Euro).

Auf großzügige Weise unterstützen sich Werke und Künstler hier wechselseitig, verstärken Tiefen und bügeln Schwächen aus. Wenn Mathieu Merciers Teller auf der Wand seine Kreise zieht, versetzt er die andächtigen Zeichnungen der russischen Malerin Natalia Gontcharova in Schwingung und verleiht ihnen einen Hauch Humor. Auch die beiden Galerien erreichen ein ebenbürtiges Miteinander. Nach dem jüngsten Gerangel in der Berliner Kunstszene ist die makellose Ausstellung bei Chouakri ein Beispiel, wie durch Kooperation beide Partner gewinnen. Simone Reber

Mehdi Chouakri, Edison Höfe, Eingang: Schlegelstr. 26; bis 26.2. Di–Sa 11–18 Uhr.

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