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Mit Bannern am Opernhaus feiert Chemnitz die Ernennung zur Kulturhauptstadt 2025

© dpa

Streit um die Kulturhauptstadt: Was passiert hinter den Kulissen?

Chemnitz ist jetzt offiziell für 2025 bestätigt, doch die Art und Weise, wie der Kulturhauptstadt-Titel vergeben wird, steht weiterhin in der Kritik.

„Es geht um das Renommee einer Initiative, die seit 1985 viel Gutes bewirkt hat“, sagt Kristina Jacobsen. Los ging es mit der europäischen Kulturhauptstadt Athen, dann folgten Florenz, Amsterdam und West-Berlin. Nach dem Kapitalen waren Kulturorte wie Weimar 1999 dran, inzwischen werden auch kleine und kleinste Städte gekürt. Aktuell führen Rijeka in Kroatien und Galway in Irland den Titel. Jacobsen, die ihre Doktorarbeit zum Thema Kulturhauptstadt geschrieben hat und Wissenschaftlerin beim „European Capital of Culture-Lab“ am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim ist, teilt jedoch die Kritik am Umgang der EU mit dem Ehrentitel, die jüngst von der „Süddeutschen Zeitung“ erhoben wurde. Dabei ging es im Zusammenhang mit der Ernennung von Chemnitz für das Jahr 2025 um mangelnde Transparenz bei der Arbeit der Auswahljury sowie um einen „Berater-Sumpf“, bei dem sich angeblich ein kleiner Kreis von Fachleuten gegenseitig lukrative Aufträge zuschanzt.

Selbst neutralen Fachleuten wie ihr werde zu oft eine Einsicht in die Arbeit der Jury verweigert, kritisiert Jacobsen. So habe sie beispielsweise beantragt, die digitalen Präsentationen der Bewerberstädte einzusehen, die in Corona-Zeiten die sonst üblichen Vor-Ort-Besuche der Juroren ersetzen mussten. Die aber werden unter Verschluss gehalten. Eine „Geheimniskrämerei“, die die Wissenschaftlerin ärgerlich macht, ebenso wie das Verbot für die einzelnen Jurymitglieder, Interviews zu geben.

Der Titel wird von der EU mit viel Pathos aufgeladen

„Wenn es um die Kulturhauptstadt-Idee geht, werden seitens der EU stets die hehrsten moralischen Ziele benannt“, sagt Jacobsen. Da geht es im pathetischen Duktus darum, wie großartig die Titelträger dazu beitragen, den Zusammenhalt in der Staatengemeinschaft zu stärken, da werden Sprüche geklopft wie „Was können wir von Europa lernen und was kann Europa von uns lernen?“ Wer das „European Capital of Culture-Projekt“ (ECoC) aber derart hoch hänge, müsse dann auch absolut sauber arbeiten, findet sie.

Die Frage, ob die im Hintergrund agierenden Berater wirklich so hohe Summen einkassieren, wie die Kritiker anprangern, ist für Kristina Jacobsen zweitrangig. Viel problematischer findet sie eine „Fehlentwicklung“, die damit zusammenhängt: Der Bewerbungsprozess gestaltet sich inzwischen so ausufernd, die Anforderungen seitens der EU sind derart komplex, dass die Städte notgedrungen externen Sachverstand einkaufen müssen. Und weil die Auswahl an Experten auf dem Gebiet des EU-Antragswesens klein ist, tauchen überall immer wieder dieselben Namen auf.

Szene aus dem Musical „Hair“ in einer Inszenierung des Chemnitzer Opernhauses.
Szene aus dem Musical „Hair“ in einer Inszenierung des Chemnitzer Opernhauses.

© Foto. Nasser Hashemi

Grundsätzlich ist Kristina Jacobsen ein Fan der Kulturhauptstadt-Idee, weil sie im Vergleich zu so mancher anderen Kulturfördermaßnahme der EU sehr gut funktioniere. Und zwar auf zwei Ebenen: Zum einen wird die Außenwahrnehmung verbessert, was Städte wie das dänische Aarhus und das niederländische Leeuwarden sehr gut genutzt hätten, die vorher international kaum wahrgenommen wurden. Der Anstieg der Touristenzahlen während des Jubeljahres ist dabei nur ein Aspekt. Im Idealfall gelingt es, durch den ECoC-Titel das Image der Stadt dauerhaft aufzupolieren und damit auch Industrie, Handwerk und Handel vor Ort zu stimulieren.

Die erheblichen Investitionen, die jeweils im Vorfeld mit der Kulturhauptstadt verbunden sind, könnten sich somit schnell amortisieren. Längst wird die Titelvergabe von der EU nicht mehr als 365-Tage-Feuerwerk definiert, sondern als Prozess, der eine ganze Dekade umfasst, von der Nominierung fünf Jahre im Voraus bis zur ausführlichen Nachbereitung des Ereignisses.

Weil im Bewerbungsprozess und bei der Umsetzung des Programms sehr viele Akteure vor Ort zusammenarbeiten müssen, kann das Kulturhauptstadtjahr zudem als urbane Selbsttherapie funktionieren. Wobei nicht nur die Infrastruktur langfristig verbessert wird, sondern eben auch die Kommunikation innerhalb der Interessengruppen einer Stadt. Das Ruhrgebiet, das unter einem chronischen Minderwertigkeitskomplex leidet, ist definitiv gestärkt aus seinem Hauptstadtjahr 2010 hervorgegangen.

Die Vorsitzende erklärt sich hinter verschlossenen Türen

Als Reaktion auf die massive Kritik am Vergabemodus und der damit verbundenen Berateraffäre hatte sich Sylvia Amann, die Vorsitzende der Auswahljury, bereit erklärt, vor der Kultusministerkonferenz (KMK) Rede und Antwort zu stehen. Die KMK ist für das deutsche Titel-Verfahren 2025 zuständig. Im Anschluss an das Treffen, das am Montag stattfand, war eine Pressemitteilung angekündigt worden – die sich dann als Glanzleistung in Sachen Hinterzimmer-Mentalität herausstellte.

Denn statt die Probleme offen zu thematisieren und die Argumente der Jury-Vorsitzenden offenzulegen, wurde lediglich knapp mitgeteilt, in dem Gespräch mit Sylvia Amann hätten „die in den Medien im Zusammenhang mit der Auswahl der Kulturhauptstadt Europas 2025 aufgeworfenen Fragen“ geklärt werden können. Danach votierten dann alle anwesenden Ministerinnen und Minister einstimmig für Chemnitz.

Transparenz und Chancengleichheit seien selbstverständlich unverzichtbare Elemente für einen fairen Wettbewerb, hieß es in schönster Funktionärsrhetorik, darum werde sich Berlins Kultur-Senator Klaus Lederer auch bei der Europäischen Kommission für die Stärkung eines transparenten Auswahlprozesses einsetzen – um das erfolgreiche EU-Projekt der Kulturhauptstadt „zukunftsfest“ zu machen.

Jetzt kann Chemnitz richtig loslegen

Und für ein Selbstlob war auch noch Zeit: Zur Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen „trägt auch der auf der Webseite der Kulturstiftung der Länder veröffentlichte Bericht der Jury bei“. Der war es übrigens, der im unterlegenen Nürnberg für besonderen Unmut sorgte – und anschließend Bayerns Kultusminister Bernd Sibler veranlasste, die eigentlich rein formale Zustimmung der KMK zum Juryvotum zunächst zu stoppen.

Die Chemnitzer jedenfalls können jetzt aufatmen und mit den konkreten Vorbereitungen für 2025 loslegen. „C the Unseen – European Makers of Democracy“ lautet das Motto, ins Rampenlicht sollen also jene treten dürfen, die sonst ungesehen bleiben, obwohl auch sie Macher der Demokratie sind. Es soll ein Zentrum für Kreative aus Europa und der Welt entstehen sowie eine „Akademie der Autodidakten“. Für die „Parade der Apfelbäume“ werden in der ganzen Stadt 4000 Bäume gepflanzt, um die sich dann Paten kümmern. Beim Projekt „3000 Garagen“ sollen sich profane Autoabstellplätze in „versteckte kreative Orte“ verwandeln, an denen Kultur in jeder erdenklichen Form stattfinden kann.

Insgesamt plant Chemnitz für das Kulturhauptstadtjahr mit einem Budget von mehr als 91 Millionen Euro. Gut 30 Millionen sind investive Mittel, 60 Millionen werden für operative Ausgaben inklusive des Programms zur Verfügung stehen.

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