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Schäfer in Südfrankreich beim Stricken, um 1900.

© akg-images

Strickende Männer: Alte Muster, neue Masche

Es ist eine rare Spezies, doch es gibt sie: ein kleiner Streifzug durch die Kulturgeschichte der strickendes Männer.

Es war in der 10. Klasse, als mir eine Freundin das Stricken beibrachte. Bis dahin hatte meine Mutter mir Pullunder und Pullover gestrickt, aber ich wollte die Sache selbst in die Hand nehmen. Schnell hatte ich mehr Tricks drauf als Mutter und Oma zusammen. Als es nach dem Abitur zum Studium nach Berlin ging, war bald keine Zeit mehr für Ringelpullis oder Kreativexperimente. Und es gab genügend Second-Hand-Läden, in denen man sich individuell und bei Bedarf exzentrisch einkleiden konnte. Die Faszination für Wolle, das Entwerfen komplexer Muster und die Herstellung von Textilien blieb.

Schon seit einigen Jahren erleben Stricken, Häkeln, ja selbst das Sticken eine bemerkenswerte Renaissance. Das hat keinesfalls ökonomische Gründe, denn rechnet man die Kosten für Wolle und für Arbeitszeit zusammen, ergibt sich für einen durchschnittlichen Strickpullover schnell ein Preis, der locker an den eines Marken-Designerstückes heranreicht. Es geht vielmehr um den Spaß am Do-it- yourself, den Kampf gegen die Uniformität, die Gelegenheit zur Entspannung oder auch das Gruppenerlebnis, wenn sich Menschen in der Gruppe zusammenzutun, um Lampenmasten oder Fahrradständer mit Selbstgefertigtem zu umwickeln. Und nein, es sind nicht nur Frauen, die an dem Boom partizipieren.

Handstricken wurde erst weiblich, als es wegen der Industrialisierung keinen Profit mehr brachte

Ebba D. Drolshagen hat sich jetzt ausführlich mit der Kulturgeschichte des Strickens beschäftigt, deren Anfänge vermutlich ins 12. Jahrhundert zurückreichen. In „Zwei rechts, zwei links“ erzählt sie, wie es im Untertitel heißt, allerlei kurzweilige „Geschichten vom Stricken“ (Suhrkamp Verlag, 251 Seiten, 18 €). Sie interessiert sich dabei nicht nur für die diversen, kulturell deutlich unterschiedenen Arten des Strickens oder für die Tradition einzelner geografisch zu verortender Muster. Sie geht auch auf die Ökonomie des Strickens ein und beschreibt, wie diese Handarbeitstechnik erst im Zuge der Industrialisierung zu einer Frauensache geworden ist.

„Handstricken wurde erst weiblich, als es sich finanziell kaum noch lohnte“, schreibt Drolshagen. Es sollte also nicht verwundern, wenn die Autorin ihr Publikum grundsätzlich als Strickerinnen adressiert, Femininum Plural. Umso mehr lohnt es sich, zur Abwechslung einmal die Repräsentationen strickender Männer anzuschauen. „Zwei rechts, zwei links“ enthält nicht nur ein Kapitel über strickende Männer, sondern auch einige wenige Abbildungen dieser raren Spezies. Es zeigt unter anderem ein englisches Aquarell aus dem Jahr 1814, das aus einem Bildband zu volkstümlichen Trachten aus der Grafschaft Yorkshire stammt. Zwei der fünf Strickerinnen sind Männer, darunter ein Schäfer, der, seine Schafe vor sich hertreibend, im Gehen ein Nadelspiel hält.

Strickende Schäfer gehören bis heute zur Ikonografie des strickenden Mannes. Während die Hirten nämlich über ihre Schafe wachen, nutzen sie die Zeit, um mit der Produktion von Kleidungsstücken aus der reichlich vorhandenen Schafswolle zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen. 1903 produzierte sogar die Meissener Porzellan-Manufaktur eine Figur mit diesem Motiv. Besonders spektakulär sind die strickenden Schäfer aus dem Südwesten Frankreichs, die wegen des einstmals morastigen Bodens oft auf Stelzen saßen und auf unzähligen historischen Ansichtspostkarten gezeigt werden. Noch heute gibt es viele Bergregionen, in denen Hirten beim Stricken ein begehrtes Fotomotiv für Touristen abgeben.

Für Carl Spitzweg war Stricken ein Gegenbild zur Aggressivität des Krieges

Schäfer in Südfrankreich beim Stricken, um 1900.
Schäfer in Südfrankreich beim Stricken, um 1900.

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Die zweite historische Blaupause ist der Soldat. Carl Spitzweg hat dem „Strickenden Vorposten“ Mitte des 19. Jahrhunderts gleich mehrere biedermeierliche Bilder gewidmet. Ging es bei Spitzweg darum, das friedfertige Stricken der Aggressivität des Kriegs gegenüberzustellen, zeigen viele Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg, wie verwundete Soldaten im Lazarett oder die vom Kriegseinsatz verschonten Jungen und Männer für ihre Geschlechtsgenossen an der Front Strümpfe oder wärmende Masken stricken.

Dass es auch handarbeitende Cowboys gibt, will ein anderer Suhrkamp-Titel glauben machen: „The Manly Art of Knitting. Stricken für Männer“ (67 Seiten, 10 €) des Amerikaners Dave Fougner. Schwer zu sagen, was den Verlag bewogen hat, dieses Buch übersetzen zu lassen. 1972 erschien das Buch, dessen Cover ein Cowboy ziert, der auf einem Pferd sitzend in sein Strickzeug versunken ist, erstmals in den USA. Bevor es 2014 als Reprint auf den amerikanischen Markt kam, wurde die vergriffene Originalausgabe antiquarisch für über 100 Dollar gehandelt. Es präsentiert jedoch nicht viel mehr als ein paar Grundtechniken und einige Strickprojekte, denen sich der männliche Mann dann widmen kann: eine Decke für den Hund (zum Drauflegen), eine Decke für das Pferd (zum Drüberwerfen), ein Wandbehang (der aussieht wie eine monströse Preisschleife) oder eine Hängematte.

Einzig lohnenswertes Projekt ist die rustikale Wollmütze; der aus zwei rechteckigen Strickstücken bestehende Pullunder hingegen besticht allenfalls durch Formlosigkeit. Wer wirklich ein auf Männer zugeschnittenes Strickbuch sucht, ist besser mit Lutz Staackes „Male Knitting. Handfeste Strickprojekte für echte Kerle“ bedient (Edition Michael Fischer 2015, 128 Seiten, 7,99 €).

Im US-amerikanischen Wilden Westen der 1970er Jahre mag Fougners Buch als Beitrag zur Gleichberechtigung gedacht gewesen sein, galt doch allgemein, dass, wenn Stricken weiblich ist, Männer, die stricken, schwul sein müssen. Doch seither hat sich einiges getan. In der alten Bundesrepublik waren es nicht zuletzt die Ökos (wie man damals sagte), die das Stricken als geschlechterübergreifende Tätigkeit salonfähig gemacht haben – allen voran der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, den so manche Illustrierte gern beim Stricken zeigte. Doch selbst 2017 hat die Tagesschau-Redaktion in ihrer Berichterstattung über den Parteitag der Grünen das Bild eines jungen Strickers dazwischengeschnitten. Offenbar stehen solche Bilder nach wie vor für einen anderen Gesellschaftsentwurf.

Die Hombres Tejedores häkeln gegen Geschlechterstereotypen an

In Chile und anderen südamerikanischen Ländern haben im letzten Jahr die Hombres Tejedores von sich reden gemacht. Aktivisten (Maskulinum Plural), die in Gruppen in Parks oder Museen gegen überholte Geschlechterstereotypen ihrer Mitbürger (und -bürgerinnen) anstricken und -häkeln. Der gleiche Impetus hat auch den südafrikanischen Künstler Mark Rautenbach inspiriert. Er zerschnitt für ein Kunstprojekt alte Schulbücher aus der Zeit der Apartheid, wickelte die Papierstreifen zu Knäueln auf und platzierte sich damit strickend in den Innenstädten von Kapstadt und Johannesburg. Die Erscheinung eines auffällig tätowierten und gepiercten Mannes, der im öffentlichen Raum konzentriert seiner Handarbeit nachgeht, löste unweigerlich Irritationen aus. Diese führten dann aber zu Gesprächen über Genderfragen, Diversität, Gleichberechtigung. Die Plauderei aus dem Nähkästchen als Zeichen des Umbruchs.

Doch nichts zeigt den Wandel der Gesellschaft möglicherweise so sehr an wie der weltweite Erfolg von Arne & Carlos aus Schweden. Bekannt geworden sind die beiden Designer mit selbstgemachten Weihnachtskugeln. Mittlerweile sind ihre Bücher mit Anleitungen für handgestrickten Puppen, Norwegerpullover oder, wie in ihrem neuesten Buch, „Gestrickte Vögel“ (Strikke Fugler, Frech Verlag Stuttgart 2017, 176 Seiten, 19,99 €) in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Im Unterschied zu früheren Handarbeitsfibeln sind die kreativen Köpfe dabei stets mit im Bild. Einträchtig sitzen die beiden auf den Titelbildern nebeneinander und werden von Buch zu Buch sichtbar älter. Dass es sich dabei allem Anschein nach um ein schwules Paar handelt, scheint niemanden mehr zu stören. Geht die ja ohnehin unsinnige Gleichung von Handarbeit und Weiblichkeit nicht mehr auf, oder wird der Homosexuelle nur einmal mehr als Frau in Männerkleidern dargestellt?

Sehen wir es für heute optimistisch: Die Welt ist bunt und kann es ganz gut aushalten, darauf hingewiesen zu werden.

Dirk Naguschewski

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