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Kultur: Ströme und Spuren

Neuer Berliner Kunstverein: Ursula Biemann forscht auf ihre Weise über Ökologie und Globalisierung.

Tausende Menschen wuseln wie auf einer Ameisenstraße mit lehmbefüllten Säcken hin und her, errichten einen Staudamm im Delta von Bangladesch. Anderthalb Tage hat die Schweizer Künstlerin Ursula Biemann von Dhaka bis zu diesem fernab gelegenen Ort im Delta gebraucht, um diese Szenen mit ihrer Videokamera festhalten zu können. Das Dorf kämpft gegen Überschwemmungen. Und gegen noch viel mehr. Ursula Biemann verweist auf die Erderwärmung, die dazu führt, dass der Meeresspiegel steigt und Bangladesch an Fläche verliert. Ihr Video „Embankment“ ist in der Ausstellung „Egyptian Chemistry – Deep Weather – Sahara Chronicle“ im Neuen Berliner Kunstverein zu sehen. Es ist Teil einer umfassenderen Beschäftigung mit dem Thema Wasser.

Die Schweizer Künstlerin hat auch den Nil bereist, an dem sie Wasserproben genommen hat und den pH-Wert von Kilometer zu Kilometer gemessen. Ihr Werk reicht vom Molekularen zum Universalen. Die Fläschchen mit dem Nilwasser stehen geheimnisvoll beleuchtet in einem wasserblauen Raum, dazu laufen Videos ihrer Interviews mit Agrarwissenschaftlern. Einst hat der Nil mit seinen jährlichen, natürlichen Überschwemmungen die Felder bewässert und mit nährstoffreichem Schlamm gedüngt.

Durch den Assuan-Staudamm ist die Ökologie in Schieflage geraten, Fische sterben aus, das Land versalzt. Die Bauern verarmen, viele ziehen in die Stadt. Die Unzufriedenheit wächst. Auch das führte zu den revolutionären Protesten in Ägypten im Arabischen Frühling. Der Kreis schließt sich: Während sich die Künstlerin mit einem Wissenschaftler unweit des Tahrir-Platzes in Kairo unterhält, platzt eine Bombenwarnung ins Interview. Hinter ihnen beginnen die Menschen zu rennen.

Ursula Biemann beschäftigt sich mit drängenden Problemen unserer Zeit, mit den Auswirkungen von Freihandelszonen, Globalisierung und virtuellen Kommunikationsmöglichkeiten. Auf Biennalen ist sie damit ein gern gesehener Gast. Auch im universitären Rahmen stellt sie ihre Arbeiten vor. Sie schreibt Bücher, kuratiert und lehrt seit 2002 am Institut für Theorie der Zürcher Kunsthochschule. Sie selbst bezeichnet sich als ein „embedded artist“. In ihren „Sahara Chronicle“ dokumentiert sie die Flüchtlingsströme aus Westafrika gen Europa. Die Künstlerin hat Knotenpunkte dieser Migrationsbewegungen aufgespürt, mit Betroffenen gesprochen, aber auch mit denen, die daran verdienen: mit Wasserträgern, Busunternehmern, Grenzhelfern. Mobilität stellt in der Wüste einen Geldwert dar.

Ursula Biemann lässt den Betrachter allerdings mit ihren Faktensammlungen allein. Das unterscheidet sie von Wissenschaftlern und auch Journalisten und macht sie zur Künstlerin. Der Betrachter selbst muss sich mithilfe der Puzzlesteine aus Videos, Fotos, Texten und Installationen ein Gesamtbild zusammenfügen. Es gibt keine linear erzählte Geschichte, keine Argumentationskette, keine Lösungsvorschläge für die aufgeworfenen Fragen.

Kunst ist für die international vernetzte Schweizerin gleichbedeutend mit der Grabungsarbeit durch verschiedene Bedeutungsschichten. Ein komplexer Vorgang, aber längst nicht so kompliziert, wie der Untertitel der Ausstellung vermuten lassen könnte: „Installationen zur hybriden Ökologie von Ressourcen“. Im Prinzip landet Ursula Biemann mit ihrer Art des Denkens in der frühen Neuzeit des 16. bis 18. Jahrhunderts. Damals kannte man die Unterscheidung zwischen Kunst und Wissenschaft noch nicht. Anna Pataczek

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, bis 28. April; Di bis So 12 – 18 Uhr, Do 12 – 20 Uhr

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