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Kirill Petrenko tritt sein Amt als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker im August 2019 an.

© Monika Rittershaus/BPhil

Berliner Philharmoniker: Sturz aus aller Gewissheit

Seltener Gast: Der künftige Chef Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker.

Wenn man erlebt, wie Kirill Petrenko lächelnd und blitzenden Auges zum Pult eilt, wie er athletisch beiseitespringt, um den Berliner Philharmonikern den Applaus zu überlassen, dann würde man nicht auf die Idee kommen, dass es Zeit braucht, um mit diesem Dirigenten warm zu werden. Doch der Nachfolger von Simon Rattle nimmt sich bewusst Zeit, sein neues Orchester kennenzulernen. Er kommt erst zum zweiten Mal nach seiner für viele überraschenden Wahl im Juni 2015 in die Philharmonie, um ein Programm zu proben. Dann wird es stiller als gewohnt im Haus, das sich auf Petrenkos lautlosen Wink hin in eine Art Kloster verwandelt. Keine Probenbesuche, keine Interviews sollen davon ablenken, zum Kern dessen vorzudringen, was Musizieren ausmacht.

Bei Petrenkos letztem Auftritt vor gut einem Jahr wurde sogar die angekündigte Kinoübertragung wieder gekippt, diesmal kann man den zweiten Konzertabend auf 150 Leinwänden in Europa mitverfolgen. Der scheue kommende Chef kann sich einreden, dass die Leute nur deshalb ins Kino gehen, um die scharf geschnittene Garderobe und den pianistischen Furor seiner Solistin Yuja Wang zu erleben. Der 31-jährige Klassikstar aus China gab nach einer Probe zu Protokoll, dass sich der Maestro schon an ihr Tempo gewöhnt hätte. Das zeugt von robustem Selbstbewusstsein, geht aber fehl. Petrenko ist nicht der Künstler, der sich so schnell an etwas gewöhnt.

Übung in fein schimmerndem Orchesterklang

Das Programm, das er für seinen einzigen Auftritt in dieser Saison ausgesucht hat, macht die Freunde glamouröser Konzertabende zaudern. Scheut Petrenko etwa den Vergleich mit seinen großen Vorgängern, wenn er nicht Beethoven und Brahms dirigiert, sondern Dukas und Schmidt? Will er eine Debatte um den sogenannten deutschen Klang vermeiden, in die sich einst der geballte Unmut über Simon Rattles Wirken mischte? Es ist Ausdruck von Petrenkos akribischer Sorgfalt, nicht den ungeteilten Applaus, nicht den Jubeltaumel zum Maßstab seiner Berliner Arbeit zu machen. Er würde all das wohl entfachen können. Doch das leicht Entflammbare ist sein Element nicht.

Insofern mag enttäuscht sein, wer auf eine direkte Fortsetzung seiner bestürzenden „Pathétique“ vom März 2017 gehofft hat. Stattdessen geht Petrenko wieder einen Schritt zurück und legt Paul Dukas’ selten gespielte Ballettmusik „La Péri“ auf die Pulte. Eine Übung in fein schimmerndem Orchesterklang, eine Musik, die man nicht triumphierend festhalten und vorzeigen kann. Bewegung ist hier alles, und man spürt die Anstrengung, die es kostet, um nicht im philharmonischen Edelklang zu versinken. Denn wovon andere Orchester träumen, ist nicht automatisch das Klangideal einer neuen Beziehung. Petrenko lässt sich von Gold nicht blenden. Allein darin kann man ein Motiv für seine Wahl zum Philharmoniker-Chef erkennen.

Der Dirigent arbeitet sich durch Verästelungen und Hohlwege

Kurios platziert folgt darauf das 3. Klavierkonzert von Sergej Prokofjew, ein effektvolles Stück, das die Philharmoniker mit Rattle einst nicht ganz unpassend zu Silvester spielten. Das Orchester kann das, die Solistin Yuja Wang, die mit den Philharmonikern durch Asien tourte, kann es auch, wenn man die technische Beherrschung zum Gradmesser macht. Doch der Tonfall erscheint absehbar, das Musizieren nicht als das Bewusstsein erweiternder Akt. Für Petrenko ist Yuja Wang keine Traumpartnerin.

Nach der Pause geht es wieder mitten ins Unbekannte: Die 4. Symphonie von Franz Schmidt, uraufgeführt 1934, birgt jenen hochentwickelten spätromantischen Organismus, der Petrenko fasziniert. Man fühlt sich ein wenig an sein leidenschaftliches Plädoyer für die Musik von Josef Suk erinnert, damals, als er noch Musikchef an der Komischen Oper war. Es ist diesem Dirigenten ein Herzensanliegen, das gewaltige, als überkommen belächelte Format neu zu durchleuchten, sich durch all die Verästelungen, Hohlwege und Engführungen zu arbeiten. Ein Orchesterbrausen vor dem Hintergrund von schier endloser musikalischer Bildung und persönlichem Unglück, hat Schmidt mit seiner Vierten doch ein Requiem für seine Tochter komponiert. Die Katastrophe, der Sturz aus aller Gewissheit, gelingt Petrenko so erschütternd wie in der „Pathétique“. Der Jubel fällt diesmal leiser aus. Das macht ihn kostbarer.

Zweite Aufführung am Samstag um 19 Uhr

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