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Nestor Ngbandi Ngouyou und Aaron Koyasoukpengo in Rafiki Farialas "We, Students!".

© Makongo Films

Subsahara-Kino auf der Berlinale: Aufbruch ins Ungewisse

Drei Filme aus Nigeria, der Zentralafrikanischen Republik und dem Südsudan suchen nach einer Perspektive für ihren Kontinent. Auch Europa spielt dabei eine Rolle.

„Fluchtursachen bekämpfen”: Mit dieser Formel sind meist sozio-ökonomische Zwänge gemeint, die eine individuelle Entscheidung beeinflussen, das eigene Land in Richtung Europa zu verlassen. In seinem Dokumentarfilm „No U-Turn” erinnert sich der nigerianische Regisseur Ina Nnabue an eine solche Entscheidung, die er vor 26 Jahren als junger Mann traf. Allerdings spricht er auf dem Voiceover auch von ganz anderen Gründen für die Flucht aus Lagos. Von Identitätskrise und Selbstsuche ist die Rede, von einem abenteuerlichen Aufbruch ins Ungewisse. Tatendrang statt Zwang.

In drei Dokumentarfilmen lässt sich im diesjährigen Panorama-Programm der eigene Blick auf Lebenswelten in Subsahara-Afrika schärfen. „No U-Turn” ragt unter ihnen heraus, wohnt ihm doch das stärkste Potenzial inne, tradierte Vorstellungen von Flucht und Migration zu überprüfen. Bei aller Verzweiflung Nnabues über die politische und wirtschaftliche Lage der Länder, die er durchstreift, betont sein Film doch stets Autonomie und Mobilität.

In Rafiki Farialas „We, Students!” kommt dagegen niemand groß vorwärts. Eine Gruppe junger Menschen, die an der staatlichen Universität in Bangui, Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, Wirtschaftswissenschaften studieren, stehen hier im Vordergrund. Sie diskutieren in völlig überfüllten Hörsälen die geopolitischen Verwerfungen zwischen den USA und China und fragen nach der Position ihres eigenen Landes in dieser Gemengelage. Sie beklagen die Korruption und die fehlenden Chancen für eine neue Generation, etwas besser zu machen.

Während Nnaebue bereits ein gefeierter Nollywood-Regisseur ist, steht Rafiki Fariala noch ganz am Anfang. Mit gerade einmal 24 Jahren hat er seinen ersten Langfilm gedreht, der zugleich der erste seines Landes ist, der auf der Berlinale läuft. Er studiert selbst an der porträtierten Uni, die meisten der Protagonisten sind seine Freunde. Für ein paar musikalische Intermezzi singt er selbst in die Kamera.

Intimes und Politisches, Persönliches und Gesellschaftliches

„No Simple Way Home”, der dritte Film im Bunde, ist insofern ein besonderer Fall, als dass die Regisseurin Akuol de Mabior in die Geschicke ihres Landes unmittelbar verstrickt ist. De Mabior ist die Tochter des einstigen Rebellenführers John Garang, der über Jahrzehnte für die Unabhängigkeit des überwiegend christlichen Südsudan vom überwiegend arabisch-muslimsichen Norden gekämpft hat. Im Jahr 2005 wurde Garang nach einem ersten Friedensabkommen zwischen den Landesteilen zum Vizepräsidenten des Sudan, nur 21 Tage später starb er bei einem Hubschrauberabsturz.

Die Regisseurin Akuol de Mabior verarbeitet in „No Simple Way Home” die Geschichte ihres Vaters.

© Akuol de Mabior

Akuol, die damals 16 war, ist also nicht unparteiisch, unternimmt hier aber keine Heldenverehrung. Ihr Film begleitet Mutter Rebecca und Schwester Nyankuir bei ihrer Rückkehr aus dem Exil und beim Versuch, die Zukunft des 2011 schließlich unabhängig gewordenen Staates mitzubestimmen. Gerade auf Nyankuirs Wahlkampf scheinen viele Hoffnungen zu ruhen, aber letztlich fragt auch dieser Film eher skeptisch: „Sind die Mächtigen im Land bereit, die jungen Leute von ihrem eigenen Land träumen zu lassen?”

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Ein bisschen unbeholfen wirkt manchmal de Mabiors Versuch, Intimes und Politisches, Persönliches und Gesellschaftliches miteinander zu verweben. So ganz greifbar wird „No Simple Way Home” nie. „We, Students!” durchzieht eine klarere Bewegung, und die zeichnet nach, wie das Nachdenken übers Politische allmählich im Privaten endet. Zwei der Frauen werden ungewollt schwanger, eine von ihnen bekommt Zwillinge, und am Schluss fährt ein junges Paar mit einem Moped, auf dem neben zwei Babys noch eine Ziege und ein Huhn festgeschnallt werden, in eine wohl viel zu gewisse Zukunft.

Nnabues Reise ins Ungewisse endete vor 26 Jahren nicht in Europa, sondern in Gambia, zwei Jahre später kehrte er nach Nigeria zurück. Auch deshalb heißt sein Film „No U-Turn”, denn dieses Mal fährt er die ursprünglich geplante Route über Burkina Faso, Mali und Mauretanien bis nach Casablanca ab. Im Gepäck hat er die Frage, warum noch immer so viele junge Menschen sich aufmachen, obwohl sie um die Lebensgefahr wissen, die eine Flucht mit sich bringt.

Es ist das Verdienst des Films, aus den Wegmarken tatsächliche Orte zu machen, an denen Menschen auch manchmal stranden anstatt weiterzureisen. Eindrücklich das Interview mit einer Frau, die in Burkina Faso blieb, weil sie die Route nicht fortsetzen konnte, ohne ein besseres Leben aber auch nicht zurück in die Heimat kehren wollte. „No U-Turn” zeigt die eindrückliche Vielfalt der Erfahrungen, die sich hinter dem viel zu einfachen Wort Flucht verbergen.

Till Kadritzke

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