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Subventionskultur: Alles für die Hälfte

Die Niederlande machen schon einmal vor, was Deutschland womöglich noch bevorsteht - eine drastische Kürzung der öffentlichen Kulturmittel.

Komm zu uns, wenn du sehen willst, was es heißt, die Hälfte aller Theater, Museen, Archive und Bühnen zu schließen, könnten Hollands Künstler sagen. Was vier deutsche Autoren in ihrer Streitschrift zum „Kulturinfarkt“ fordern, steht in den Niederlanden nämlich unmittelbar bevor. Dort hat sich die rechte Regierung, angeführt von der wirtschaftsliberalen VVD und unterstützt von Geert Wilders’ rechtspopulistischer PVV, zu einer radikalen Subventionskürzung von 200 Millionen Euro entschlossen – bei einem Förderpaket, das zuletzt 500 Millionen betrug. Fast gleichzeitig wurde eine Verdreifachung der Mehrwertsteuer auf Eintrittskarten von 6 auf 19 Prozent beschlossen. Jede holländische Familie gebe im Durchschnitt nur 175 Euro für Kultur aus, bringt das Kulturministerium vor. Zum Vergleich: Der Bundesbürger gibt schon pro Kopf rund 120 Euro aus.

Die holländischen Künstler protestierten auf der Stelle. Sie initiierten einen „Marsch der Zivilisation“, bei dem sie zu Fuß durchs Land wanderten. Sie riefen die Aktion „Schrei um Kultur“ ins Leben, bei der Zehntausende ihrer Unzufriedenheit Luft machten. Deutsche Theaterleute wie Jossi Wieler, Frank Castorf und Sasha Waltz unterzeichneten einen Brandbrief an Hollands Kulturstatssekretär Halbe Zijlstra. Die Regierung aber setzte sich durch: Ab 2013 wird Hollands Kulturlandschaft anders aussehen.

Noch bangen die Künstler, wen es wohl am schlimmsten trifft. Weil Zijlstra vor allem die hochkulturellen Aushängeschilder wie das Concertgebouw Orchester, das Rijksmuseum und De Nederlandse Opera schützen will, werden vor allem kleinere Musikensembles und Theatergruppen in Bedrängnis kommen. Soll das nun etwa auch in Deutschland geschehen? Eine Solidaritätsdebatte am gestrigen Freitag im Deutschen Theater wurde von „Holland in Not“ flugs in „Alles für die Hälfte“ umbenannt.

Wie konnte es so weit kommen? Die Befreiung des Individuums in den sechziger Jahren hat dazu mindestens so sehr beigetragen wie dessen Wandlung zum hedonistischen Konsummenschen in den Neunzigern. In der niederländischen Post-Bildungs-Kultur war es nur noch eine Frage der Zeit, bis dazu aufgerufen wird, die Kunst endgültig wirtschaftlichen Ansprüchen zu unterwerfen, und auch in Deutschland passiert das jetzt. Die Statistiken bieten dazu Anlass. In den Niederlanden und in Deutschland gehen vier Fünftel der Bevölkerung nie ins Theater. Doch gibt es nicht auch Sportdesinteressierte, und dennoch fließen die Subventionen?

Beunruhigend ist der giftigeTon der Debatten. Die „Kulturinfarkt“-Autoren unterstellen dem Kulturbetrieb einen Hang zum Elitären und Institutionalisierten. In den Niederlanden nannte ein PVV-Mitglied Kunst ein linkes Hobby, und ein prominenter Abgeordneter der VVD fragte, wer eigentlich all diese Orchester und Theater brauche. In den Niederlanden ist die Rolle des Zentralstaats bei der Kulturförderung noch größer als in Deutschland, wo vor allem die Länder und Gemeinden das Sagen haben. Dazu kommt, dass seit den Morden an Pim Fortuyn und Theo van Gogh das kulturelle Klima von einem starken Anti-Elitarismus geprägt ist – auch das politische. In Deutschland aber sind es die Politiker, die jetzt in den Feuilletons die Kunst verteidigen. Sie setzen auch die Intendanten ein.

Ein weiterer Unterschied zu Holland liegt darin, dass die „Kulturinfarkt“-Provokateure nicht einfach nur Kürzungen im Sinn haben. Sie wollen Umverteilung zugunsten der Laienkultur, der Kunsthochschulen und der freien Szene. In den Niederlanden sagen viele, es gebe ein Problem von zu viel freier Szene und zu wenig Nachfrage, weshalb Reformen dringend geboten seien. Die Sache ist nur, dass man dafür Ideen braucht, nicht nur Zerstörungswillen.

Die entscheidende Frage ist, wie eine Kunstlandschaft aussehen soll, wenn eine Gesellschaft zu Kürzungen gezwungen ist. Wenn Bildung kein Ziel mehr ist, weil jeder Zeitvertreib als gleichwertig gilt, kann es dann noch Kunst für alle geben? Was geschieht, wenn die Kluft zwischen hervorrragend Ausgebildeten und mangelhaft Ausgebildeten wächst und das Diktat der wirtschaftlichen Kräfte zunimmt? In den Niederlanden ist man mit den Antworten sicher auf dem falschen Weg. Man kann nur hoffen, dass Deutschland einen besseren findet. Maartje Somers

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