zum Hauptinhalt

Kultur: Suche nach dem Ursprung

„Seien wir bescheiden“: Ein Gespräch mit Peter Brook zum 80. Geburtstag

Mister Brook, Sie haben mit 18 Jahren angefangen, Theater zu machen, sind später mit Ihren Inszenierungen um die Welt gereist und haben in Paris ihr Theaterlabor eingerichtet. Was haben Sie bei dieser Welterkundung erlebt, die ja auch eine Spracherkundung ist?

Ein Beispiel: Ich habe mich mit dem BeckettStück „Glückliche Tage“ in drei Sprachen beschäftigt. Ich kannte „Happy Days“ sehr gut, Becketts erste Version. Nachdem ich es auf Französisch inszeniert hatte, realisierte ich es später auch auf Deutsch. Beckett war ein Meister der Sprache: Was für den englischen Darsteller zählt, ist die Resonanz innerhalb der Worte. Das einzelne Wort ist ein Atom für die Bildung von Sprache. Deshalb kann ein Engländer Pausen zwischen den Worten machen, die keine Leerstellen sind.

Und ein Franzose?

Es lässt die Aussagen satzweise erfolgen. Ein Satz – ein Gedanke. Als Engländer spreche ich den Franzosen nicht schnell genug, immer noch. Das liegt daran, dass ihr Denken dem Sprechen vorauseilt. Als Beckett das bemerkt hatte, schrieb er mit „Oh les beaux jours“ ein französisches Stück, dessen Worte und Ideen so schnell aufeinander folgten, dass es feiner, eleganter und poetischer wurde als „Happy Days“. Als ich mit Miriam Goldschmidt dann die deutsche Version erarbeitete, merkte ich, dass das Deutsche zwischen beiden Sprachen steht. Anders als das Französische kennt es machtvolle Worte voller Resonanzen und hat zugleich eine stärkere Verbindung zum Mentalen als das Englische.

Der Autor, auf den Sie immer wieder zurückkommen, ist Shakespeare. Was macht ihn zum Universalpoeten?

Er ist ein Sonderfall: Seine Sphäre beginnt jenseits aller Theorien. Keiner kann heute sagen: Shakespeare, das ist dieses oder jenes. In jeder Sprache, in jeder Kultur ist Platz für seine Stücke. Und in jeder Shakespeare-Übersetzung entdeckt man neue Quellen der Wahrheit.

Ihr „Vergessen Sie Shakespeare!“ ist legendär, es wurde zum Buchtitel. Sie haben diesen Satz einmal einem Schauspielschüler bei der Arbeit zugerufen.

Ja, das bedeutet: Vergessen Sie alle vorgefassten Konzepte, Theorien und Methoden! Wir haben Hamlet auf Englisch und Französisch gespielt. Man kann ja nicht behaupten: Eine Übersetzung sei so gut wie das Original, das wäre töricht. Obwohl Shakespeare auf Englisch immer noch am besten ist, gab es in unserer französischen Produktion eine sehr subtile Emotionalität. Da ging es nicht mehr um die körperliche Erfahrung, die von der phonetischen Macht der Worte ausgeht, sondern um eine spirituelle. Die Reinheit und Transparenz des französischen Textes lässt komplexe Ideen, die im Englischen für das Verstehen schwer erreichbar sind, plötzlich klar hervortreten.

„Hamlet“ haben Sie 1995 und 2000 herausgebracht. Aber Ihr Opus Magnum, Ihr Welttheater-Großprojekt, war das indische „Mahabharata“.

Eine schöne Erfahrung: Eine große Legende wird mit menschlichen Mitteln erzählt, fernab jeder Schematik, jeder Vorstellung von Gut und Böse. Es geht wirklich um die ganze Komplexität des Menschenlebens. Länder wie Afrika haben ihre tradierten kulturellen Verbindungen noch nicht völlig verloren; man erkennt noch den Zusammenhang zwischen dem täglichen Leben der Townships und Erfahrungsbereichen, die mit Transzendenz zu tun haben. Da ist etwas, das über den Kampf, das Leiden und die Freude hinausgeht.

Auch „Tierno Bokar“, Ihre letzte Arbeit, spielt weitab vom europäischen Denken. Hat Afrika etwas bewahrt, das Sie für Ihr Theater brauchen?

Europäer sind zu kopfig, zu intellektuell. Die europäische Kultur hat das Denken enorm weit entwickelt. Ein Denken, das die Welt ausmisst und dazu da ist, Entscheidungen zu treffen und Schnitte vorzunehmen. Dieses Denken ist dann richtig, wenn es fest mit dem Gefühl verbunden bleibt. In Afrika ist mit Händen zu greifen, dass die Menschen dort diese Schnitte so nicht vollzogen haben.

Was heißt das?

Es bedeutet, dass ein afrikanischer Schauspieler intelligent ist, aber diese Intelligenz seinen Körper oder seine Gefühle beherrscht. „Tierno Bokar“ spielt zu einer Zeit, da religiöse Spaltungen beginnen. Währenddessen geschieht etwas pur Afrikanisches: Es gibt da diesen Mann, der auf keinen Fall an diesem Trennungsprozess teilnehmen will. Europäer können in seinem Verhalten etwas erkennen, das einerseits ihrem eigentlichen, verschütteten Selbst entspricht, das sich ihnen aber andererseits als etwas Überraschendes und Andersartiges zeigt.

„Tierno Bokar“ ist ein Stück über einen malischen Sufi. Es handelt von Religionen und der Gefahr ihrer Korrumpierung durch Machtinteressen.

Jede Religion hat ihre eigenen Formulierungen, Techniken und Methoden. Und jede davon enthält etwas, das sich zu studieren lohnt und das wir lernen sollten zu respektieren. Aber innerhalb dieser Formen entdeckt man – idealtypisch im Zen, im japanischen Buddhismus – dieses Zurückweisen aller formalen Manifestationen. In der christlichen Esoterik findet man ebenso wie im Islam exakt dasselbe: einen Moment des Verschwindens aller Formen. Die großen christlichen Mystiker sprechen dieselbe Sprache wie die islamischen Mystiker. Aber jede religiöse Erfahrung ist letztlich eine, die man mit sich selbst macht und die verloren geht, sobald man darüber zu diskutieren beginnt.

In Ihrer Autobiografie „Zeitfäden“ haben Sie Ihre jugendliche Hoffnung auf ein „spirituelles Ankommen“, eine Heimat des Denkens als naiv verworfen. Würden Sie diese Idee heute wieder aufgreifen?

Das ist keine Idee, sondern eine Tatsache. Spirituell ankommen heißt: sich völlig zu öffnen. Einige wenige sind in der Geschichte der Menschheit dahin gekommen, sich völlig zu befreien. Buddha hat es vielleicht getan. Wir anderen können auf diesem Weg eine kleine Strecke zurücklegen, aber ganz frei sein zu wollen, wäre eine prätentiöse und naive Idee.

Teilen Sie dann auch die Idee der Reinkarnation, die von diesen Vorstellungen ausgeht?

Nein, ich teile sie nicht. Aber der Gedanke ist verständlich: Wenn man es in einem Leben nicht schafft, dann kommt man eben 50-mal zurück, um auf dem Weg weiter zu kommen. Ich glaube nicht daran. Seien wir bescheiden: Wir haben einen Weg, eine Möglichkeit. Schauen wir, wie weit wir kommen.

Das Gespräch führte Eberhard Spreng.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false