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Südafrika: Ein Dorf geht baden

Weihnachten am Westkap: Wie die Xhosafrau Pinky das Fest in Südafrika feiert.

Pinky ist 22 und träumt von einem Haarsalon. Am besten, sagt sie, wäre einer von den Cargo-Containern, die manche Telefonanbieter für ihre Shops in den Townships nutzen. Die Stahlcontainer kann man nachts abschließen. Ihre Sachen müssen halt sicher sein. Doch noch hat sie nicht genug Geld für einen Container. So bringen die Frauen ihre eigenen Hairstraightener und Haarextensions mit und bezahlen für die vier bis sechs Stunden in Pinkys Bretterhütte weniger als im Haarsalon. Pinky wäscht, kämmt, glättet, verlängert Haare und flicht vor allem Zöpfe und Muster.

Pinky spart auf Weihnachten zu Hause in der Transkei in Kentani, 1200 Kilometer von Stanford entfernt, wo sie jetzt lebt und arbeitet. Sie spart auf die Reise im Minitaxi. 45 Euro kostet die einfache Fahrt, fast ihr halber Monatslohn. Und sie spart auf Geschenke für ihre Töchter Aphiwe (5) und Anita (3) sowie für die Großmutter, die die Kinder aufzieht, und für ihre 16-jährige Schwester, die der Großmutter helfen soll, aber ihr nur auf der Tasche liegt.

Wer im reicheren Westkap um Kapstadt lebt und arbeitet, so wie Pinky in Stanford, von dem wird zu Hause im Eastern Cape zu Weihnachten Geld und Unterstützung erwartet: Essenseinladungen, neue Kleider, Handys, Geschirr, Taschen, Kosmetik, egal wie viel man im Jahr verdient. Das macht es so schwer, in dieser Zeit nach Hause zu fahren. Die Erwartungen sind groß und allein deswegen war Pinky letztes Weihnachten und das ganze Jahr nicht in der Kleinstadt Kentani, aus der sie und ihr Clan stammen. Seit zwei Jahren hat sie ihre Kinder nicht gesehen. Nur am Telefon hat sie mit ihnen gesprochen.

Pinkys richtiger Name ist Princess Magoqweni. Ihre Tante gab ihr den Spitznamen Pinky, weil sie als Baby so rosig aussah. Ihr Freunde nennen sie NoPinky. Das No steht für Mädchen. Ungewöhnlich ist, dass Pinky keinen Xhosa-Vornamen hat wie ihre jüngste Halbschwester, die bei ihr lebt: Phelokasi (12), was übersetzt „die Letzte“ heißt. Und sie war auch das letzte Kind. So kommuniziert man mit den Ahnen.

Dieses Jahr will Pinky unbedingt Weihnachten mit ihren Kindern verbringen, aber das Geld reicht nicht. Vormittags geht sie putzen, im alten Teil des Dorfs, wo seit den Apartheidsjahren fast nur Weiße wohnen. Nachmittags kommen die Ladies zu ihr in den Hinterhof und lassen sich in ihrer Bretterhütte am Bett die Haare flechten und verlängern. Ein Haarsalon für schwarze Frauen ist ein krisensicheres Geschäft. Egal wie wenig die hart arbeitenden Frauen unter der Woche verdienen – ein bis zweimal im Monat wird ein Tageslohn in schönes, langes oder kurzes, aufwendig geflochtenes Haar investiert. Mutters Haare dürfen nicht zu kurz kommen, da müssen die Kinder dann zwei- oder dreimal hintereinander den billigen und nahrhaften Maisbrei essen. Und weil Pinky geschickt und beliebt ist, wird ihr die Arbeit nie ausgehen. Nur für Weihnachten verdient sie nicht genug, egal wie man es dreht und wendet. Das ist kein Grund zu ausufernder Traurigkeit, sondern eine Tatsache.

Weihnachten in Stanford und in Kentani könnten nicht unterschiedlicher sein. In der armen Transkei nördlich von East London gehören Medizinmänner und Medizinfrauen, sogenannte Sangomas, rituelle Schlachtungen und Beschneidungsriten genauso zur Tagesordnung wie schnelles Internet auf dem Handy und Ökotourismus am Meer. Surfer und Individualisten lieben die Transkei.

Überall aber gibt es Sozialprojekte. Die Armut ist überwältigend. Armut heißt hier: keine Arbeit. Das Überleben sichern Ziegen, Kühe und das eigene Gemüse hinter dem Rundhaus. Geld kommt fast nur von Verwandten, die Arbeit haben. Und von der Sozialhilfe. Für ein Kind bekommt die Mutter 20 Euro im Monat, die der Großmutter zum Aufziehen der Kleinen reichen müssen. Hamilton Naki, der berühmteste Sohn der Städtchens Kentani, ernährte 24 Familienmitglieder von einem einzigen Gärtnergehalt. Dabei war Naki der (inoffizielle) Chirurgie-Assistent von Christian Barnard bei dessen weltweit erster erfolgreicher Herztransplantation in Kapstadt. Als Xhosa blieb Naki ein akademischer Beruf jedoch verwehrt.

Anders als im kapholländischen Stanford werden in dem Städtchen, das zehn Kilometer vom Sandstrand entfernt liegt und keine touristische Attraktion hat, die Geschenke an Weihnachten gar nicht erst verpackt. Es gibt weder Weihnachtsbäume noch spezielle Gerichte, so wie in Deutschland die Weihnachtsgans.

Weihnachten in Kentani ist Partyzeit. Aus dem ganzen Land reist man an, um sich wenigstens einmal im Jahr zu Hause zu treffen und Geschichten zu erzählen. Das Haus wird geputzt, neu gestrichen und hergerichtet, Essen wird laut und im Übermaß gekocht, sogar Salat, lacht Pinky, gibt es dann. Sonst rührt so was keiner an. Zum fetten Schaf gibt es weißen Mais und braune Bohnen, und das Ganze wird mit wildem Spinat serviert. Oder es gibt gegrilltes Hühnchen in Chili und Curry und selbst gebrautes Sorghum-Bier. Weihnachten ist ein praktisches Fest, an dem man sich Töpfe, Schuhe und Kleider schenkt. Die neuen Kleider werden am ersten Weihnachtstag angezogen und allen vorgeführt. Sie müssen fürs nächste Jahr reichen.

Am zweiten Weihnachtstag bricht man zum Strand auf, landesweit. An diesem und am ersten Tag des neuen Jahres bringen alle verfügbaren Busse die arme Bevölkerung ans Meer. Sonst geht man eher selten baden. Viele Mythen der Xhosa sind zwar mit dem nahen Meer verbunden, aber Wassersport ist hier fremd. In Unterwäsche oder Kleidern wälzt man sich in der Brandung und schreit viel in den Wellen herum. Alle freuen sich darüber, dass wenigstens an diesen beiden Tagen die Strände voller Menschen sind, die trinken, grillen, lachen und eine gute Zeit haben.

Geld war nicht der einzige Grund, der Pinky nach Stanford führte. Sie ist auch vor ihrer Kultur geflohen, die sie beengt. Sie versteht sich als moderne Xhosa, die westlich leben und keine traditionellen Kleider nach der Hochzeit tragen will. Langweilige Kleider, sagt sie. Deswegen bleiben viele Xhosafrauen unverheiratet. Außerdem kostet eine Hochzeit (genau wie ein Begräbnis) ein Vermögen, weil die Familie und das Dorf tagelang, manchmal wochenlang bekocht werden müssen.

Pinky ist stolz, eine Xhosa zu sein. Und doch ist sie hin- und hergerissen. Weihnachten zu Hause in Kentani ist eine wunderbare und anstrengende Zeit. Moderne Familienväter nutzen die Weihnachtsferien für ihre traditionelle Beschneidung, falls sie das Ritual bisher versäumt haben. Drei Wochen leben sie in der Wildnis mit 13-jährigen Jungen, die zum Mann werden sollen. Andere reisen an, um die Familien-Sangomas zu besuchen. Die Medizinmänner und -frauen sollen Flüche aufheben oder anderen neue auferlegen.

Pinky vermutet, dass ihre 41-jährige Mutter letztes Jahr einem solchen Zauber zum Opfer fiel und deswegen starb. Sie hatte einen Kleiderladen eröffnet. Irgendjemandem muss diese Störung des dörflichen Gleichgewichts nicht gepasst haben. Weihnachten in der Heimat, gesteht Pinky, ist dieses Jahr für sie nicht nur eine schöne Zeit mit Freunden und Familie, sondern auch eine traurige Angelegenheit.

Drei Wochen vor dem Fest wird ihr klar, dass sie es auch dieses Jahr nicht zu ihren Kindern schaffen wird. Pinky hat nicht genug Geld. Sie kann gerade mal ihre Halbschwester miternähren, deren Vater nichts zu ihrem Unterhalt beiträgt. Pinkys Leben kennt keine Pause, aber auch kaum Stress. Wozu sich sorgen, wenn mehr nicht möglich ist? Pinky lacht – und es ist auch zum Weinen.

Ein paar Tage später fährt ihre Cousine aus Kapstadt überraschend mit dem Auto vor. Ob sie für eine Woche mit nach Kentani will? Klar will Pinky! Schnell packt sie, die Nachbarin kümmert sich um Phelokasi, die wegen der Schule nicht mitkommen kann, und dann ist sie weg. Strahlend erzählt sie nach ihrer Rückkehr, wie groß ihre Töchter Apihwe und Anita geworden seien. Und so hübsch. Großmutter Nolosapo geht es auch gut mit ihren 72 Jahren. Alles in Ordnung. Pinky wischt sich eine Träne weg. Das Weihnachtsfest feiert sie jetzt mit ihren Freunden in Stanford.

Der Schriftsteller Sven Lager, 1965 in München geboren, lebt derzeit mit seiner Frau, der Schriftstellerin Elke Naters, und seinen zwei Kindern in Stanford, Südafrika. Zuletzt erschien von Sven Lager und Elke Naters das Buch „Was wir von der Liebe verstehen“ (btb, München 2008, 208 S., 14, 95 €)

Sven Lager

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