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Kultur: Süße Frucht des Vergessens

Großer Andrang beim neunten Berliner „Ultraschall“-Festival: Einblicke in die Experimentierlabors der Neuen Musik

Endlich mal Schokolade. Ob das Verteilen beachtlicher Mengen kleiner Schokoladentaler während des Ultraschall Festivals nachhaltig zur Popularisierung der Neuen Musik beitragen wird, muss die Zukunft zeigen. Als Maßnahme zur Versüßung herber avantgardistischer Klänge ist diese Initiative des RBB aber fraglos zu begrüßen, zumal auch Dauernutzer kaum mehr als leichtes Kopfschütteln der Damen am Infostand befürchten mussten. Die hatten ja auch andere Sorgen, denn der Besucherandrang war an den zehn Tagen beträchtlich, oft grenzwertig. Das Festival scheint immer noch im Wachsen.

Wozu fraglos auch die räumliche Ausweitung beiträgt: Den Sophiensaelen, dem stilvoll vor sich hinmodernden Gründerzeitbau in Mitte wurde erstmals das neue Radialsystem am Ostbahnhof zur Seite gestellt, mit vorhersehbarem, durchschlagendem Erfolg. Selbst im großen Saal wurden schon mal die Stühle knapp. Solche Sorgen haben sich die Programmverantwortlichen, Rainer Pöllmann vom Deutschlandradio Kultur und Margarete Zander vom Kulturradio des RBB, sicher gewünscht. Belastender sind da schon die Probleme, die sich mit der Programmgestaltung ergeben. Denn in mehr als 20 Veranstaltungen will dieses Festival alles bieten: Klassiker der Moderne, Uraufführungen, thematische Schwerpunkte, aber auch davon unabhängige Einzelveranstaltungen – wer Ultraschall erfassen will, braucht Sitzfleisch.

Es waren auch in diesem Jahr kleine, aber feine Konzerte ohne große programmstrategische Einbindung, die am meisten Freude bereiteten. Zum Beispiel der Auftritt des fabelhaften Pellegrini-Quartetts, das neben gelungenen Werken von Erhard Grosskopf und Michael von Biel die Uraufführung von Juliane Kleins „Ungetrennt“ besorgte, ein kaleidoskopartiges Gespinst feinen Atmens und Sich-zurück-Wendens in Klang und Geste. Zum Schluss spielte das Quartett einen kurzen Feldman, es blieb die unspektakuläre Befriedigung eines nicht zu üppigen, nicht zu raffinierten, eben genau richtig dimensionierten musikalischen Mahls. Auch das komponierte Programm „Turba – einfaches Doppel, gemischte Soli“ von Vykintas Baltakas war so ein freudvolles Schattengewächs des Festivals. Solostücke und Duos von Scelsi, Berio und Wiesner, umrahmt von kurzen Lautgedichten Gerhard Rühms, ein wenig Elektronik hier, etwas sphärische Flügelresonanzen dort, abgerundet mit einem Improvisationsstück von Baltakas: Das gab einen gelungenen Abend und zudem die ideale Bühne für eine der schönsten Uraufführungen des Festivals: Beat Furrers „Lotòfagos“. Das von den Lotosfrucht essenden und dann dem Vergessen anheimfallenden Seeleuten der Odyssee inspirierte Duo lässt den Sopran von Rita Balta und den Kontrabass von Uli Fussenegger geradezu ineinanderfließen, malt ganz unprätentiös intensivste Klangformen, mal zum Greifen nahe, mal zwischen den Händen zerrinnend.

Weniger Glück war dem Festival mit Clemens Gadenstätter, dem diesjährigen Stipendiaten des Ultraschall-Partners DAAD beschieden. Lange, ermüdende Stücke wie sein „Songbook“ verquirlen Versatzstücke aus Rock und Jazz in überkomplexer, aber nichtssagender Weise. Was hier für kurze Zeit durchaus klangvoll komponiert wirkt, erweist sich in seiner Länge als schlicht zu nährstoffarm. Nach einer Viertelstunde möchte man auch die elegantesten Klavierkaskaden, die raffiniertesten Saxofoneffekte nicht mehr hören, wenn nicht deutlich wird, zu welchem Zweck diese sich so überaus selbstsicher in Szene setzen. Auch die Stücke des jung verstorbenen Italieners Fausto Romitelli, ein weiterer Festivalschwerpunkt, konnten nicht überzeugen. Lebt seine Video-Oper „An Index of Metals“ immerhin noch von beeindruckenden Bildern um Metal und dessen Verflüchtigung, wirken seine Orchesterstücke mit ihren dröhnenden Ostinati vollends trivial, eine fast bedrückende Mischung aus Pink Floyd und martialischem italienischen Futurismus.

Was wohl auch die Musiker des RSB fanden. Die mussten nämlich mit Stücken Romitellis und Gadenstätters das wohl dürftigste Konzert des Festivals bestreiten und ließen sich ihren Verdruss sympathischerweise durchaus anmerken. Es ist einfach schmerzhaft, ein so gutes Orchester so vorgeführt zu sehen. Nicht jedes Festival kann wie Ultraschall gleich auf mehrere Orchester von Rang zurückgreifen, und doch ist auch in den Vorjahren mit diesem Pfund nicht gewuchert worden. Man kann den Verantwortlichen nur wünschen, hier beherzt Wege für eine bessere Programmgestaltung zu suchen. Wenn ein vorgeblich politisch motiviertes Stück wie „Shíra Shír“ von Samir Odeh-Tamini sich in einer Schreiorgie des Baritons Romain Bischoff zu einem dürftigen Orchestersatz erschöpft, darf man sich nicht wundern, wenn man von einem Geiger des Orchesters später in der S-Bahn den Rat bekommt, zur Entschädigung doch zum nächsten RSB-Abend ins Konzerthaus zu gehen.

Doch glücklicherweise blühte im Schatten der Programmschwerpunkte noch so manches schöne Gewächs. Heather O’Donnells Konzeptprogramm mit Werken für Klavier und Video etwa, der geschlossene Auftritt von Hans Zender und seinen Schülern im Konzerthaus oder Werke von Juliane Klein und Kaija Saariaho mit dem Scharoun Ensemble, die gesamten Klaviersonaten von Galina Ustwolskaja nicht zu vergessen. So gab es wieder viel Licht und Schatten, und das gehört sich auch für ein Festival Neuer Musik: Hier wird schließlich experimentiert. Wenn man doch nur vorher wüsste, wo der Besuch für die Musik lohnt und wo nur für die Schokolade.

Ulrich Pollmann

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