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West-Östlicher Dialog. Athil Hamdan, geboren 1970, spielt westliche Klassik – und bringt den Deutschen syrische Musik nahe.

©  Mike Wolff

Syrischer Cellist Athil Hamdan: Das Leben und die Schönheit feiern

Krieg, Exil – und Bach im Herzen: Athil Hamdan war Hochschulrektor und Solocellist des Syrischen Nationalorchesters in Damaskus. Seit 2015 lebt er in Berlin. Eine Begegnung.

In der großen Halle des Paul-Gerhardt- Stifts in Berlin-Wedding legt der Cellist sein Instrument zwischen die Knie. Er bewegt seine Finger ein wenig und schließt die Augen. Einatmen, ausatmen, Ruhe. Jetzt dieses Stück Bach.

Dann sagt Athil Hamdan: „Die Musik kann die Situation in meinem Land nicht ändern, das seit sieben Jahren vom Krieg zerrissen ist. Aber sie schafft eine menschliche Atmosphäre, mitten im Chaos von Syrien. Wir suchen alle nach Wegen, das Leben und die Schönheit zu feiern, auch wenn wir vom Tod umgeben sind.“

Athil Hamdan, 1970 in Damaskus geboren und in einer musikinteressierten Familie aufgewachsen, begann seine Ausbildung mit sieben Jahren am Solhi al-Wadi Institut für Musik. 1995 schloss er sein Studium am Konservatorium in Odessa ab, da war er bereits Solocellist im Symphonieorchester des Opernhauses von Odessa. Er gastierte in arabischen Orchestern, in der Schweiz und Amerika, bis er 2003 Solocellist des National Symphony Orchestra in Damaskus wurde.

Seine musikalische Identität sei weder arabisch noch westlich

Musik, sagt er, sei das Schönste in seinem Leben, es war immer sein Traum. „Aber Begabung allein reicht nicht. Ich glaube nicht an Talent allein, erst durch harte Arbeit erreicht man hohe Professionalität.“ Hamdan wurde Rektor der Musikhochschule und stellvertretender Leiter des Opernhauses der syrischen Hauptstadt, er spielte Kammermusik und komponierte. Bis er sein Land 2015 verlassen musste, wegen des Kriegs.

Seitdem lebt Athil Hamdan mit seiner Frau, Geigerin Ruan al-Kurdi, und der kleinen Tochter in Berlin. Er kennt die Stadt gut, nach dem Fall der Mauer hatte er viele Konzerte hier gegeben.

„Klassische westliche Musik ist in der arabischen Welt nicht weit verbreitet,“ erzählt er. „In Deutschland ist das anders, es gibt eine tief verwurzelte musikalische Tradition, sie ist Teil des Allgemeinwissens und der kulturellen Identität.“ Über seine eigene musikalische Identität sagt der 47-Jährige, sie sei weder arabisch noch westlich. Am 21. April wird er gemeinsam mit der Pianistin Diala Hanana und dem Buzuq-Spieler Mevan Younes ein klassisch-orientalisches Konzert im Paul-Gerhardt-Stift geben. Mit Musik von Bach, Astor Piazzolla und Werken der syrischen Komponisten Diyaa Sukkari und Nouri Rhaibani. Letzterer hat vor Jahren sein Diplom an der Musikhochschule Leipzig erworben.

Hamdan mag keine Routine

Als Hamdan noch in Syrien lebte, wollte er etwas für die Klassik tun. Gemeinsam mit Kollegen gründete er 2014 ein Streichquartett, das er später um mehrere Musiker erweiterte. In der Oper Damaskus führten sie unter anderem Werke von Bach, Mozart und Bartók auf, sie gastierten auch in anderen arabischen Ländern. Im Exil gründete der Cellist dann das Wischah-Quartett, gemeinsam mit seiner Frau, dem Bratscher Thaer Eid und dem Geiger Mohamad Ghaleb Jazmati, der Syrien ebenfalls wegen des Kriegs verlassen musste. Sie traten unter anderem in Berlin bei einem vom Goethe-Institut organisierten Konzert auf; das Ensemble trifft sich bis heute.

Athil Hamdan mag keine Routine. „Mit Wiederholung bin ich immer vorsichtig“, meint er. „Musik kann nicht wiederholt werden. Der Ton ist kurzlebig, flüchtig, vergänglich. Musik ist die Kunst der Illusion, einer Illusion aus Klang und Einmaligkeit. Ständig erneuert sie sich und hat doch Ewigkeitscharakter.“ Das Quartett, fügt er hinzu, sei eine der schwierigsten Formationen in der Klassik. Vier Solisten müssen miteinander harmonieren, brauchen eine gemeinsame Vision und gleichzeitig die Möglichkeit, dass sich einer vorübergehend zurückziehen kann, bis man wieder im Gleichklang ist.

Während seiner vielen Konzertreisen hatte der Musiker die Gelegenheit, die Klänge der anderen zu erkunden, seine Leidenschaft für Bach und für große Sängerinnen arabischer Musik wie Umm Kulthum oder Fairuz zu entwickeln. Bach, sagt er, sei der Beste, für sein Herz und sein Gefühl. Mit der Tradition und der Identität sei es ohnehin kompliziert. „Wenn die Europäer sagen, das arabische Publikum kenne Beethoven nicht und sei deshalb rückständig, dann frage ich umgekehrt: Kennen die Deutschen die Musik von Sayed Darwish oder Al Sunnbati?“ Darwish (1893-1923) gilt als der Vater der modernen ägyptischen Musik, als erste Protestsänger des Landes und einer seiner größten Komponisten, Ägyptens Nationalhymne stammt von ihm. Landsmann Riad Al Sunbati (1906-1981) hinterließ ein umfangreiches Werk, er komponierte unter anderem für Umm Kulthum.

2017 hat er den Kulturverein Nawras mitgegründet

Musik hat keine reine Identität, sagt der Cellist. Anders als ein Bild, das man ansehen, oder ein Buch, das man öffnen kann, wird man ihrer nicht habhaft. „Sie existiert nur in dem Moment, in dem sie gespielt wird.“ Zuhause war Hamdan auch als Komponist tätig, er schrieb Musik für Theaterstücke und Filme. Aber er versteht sich in erster Linie als ausübender Musiker. Gemeinsam mit seiner Frau hat er für eine CD des Deutschlandfunks Werke syrischer Komponisten aufgenommen, die teils in orientalischer, teils in westlicher Tradition stehen. Er möchte, dass die Deutschen sie kennenlernen. Athil Hamdan betreibt gerne solche musikalische Integration.

In Berlin besucht Hamdan, der hier auch als Musiklehrer arbeitet, umgekehrt gerne Jazzkonzerte, wenn es nicht der herzensgeliebte Bach ist. 2017 hat er zudem den Berliner Kulturverein Nawras mitgegründet, eine Non-Profit-Organisation, die sich als Plattform für syrische Künstler in Deutschland versteht. Im Dezember veranstaltete Nawras die „Moshabak Nights“, bei denen Kulturschaffende aus den verschiedensten Disziplinen auftraten. „Wir wollen zusammen mit interessierten Deutschen auf den Gebieten der Musik, der Kunst und der Malerei zusammenarbeiten, damit die Menschen aus Syrien und Deutschland mehr voneinander erfahren und besser miteinander kooperieren können,“ erklärt er.

Nawras bedeutet im Arabischen Möwe. Ein Vogel, der immer unterwegs ist. Athil Hamdan sagt, dass er dabei nie die Verbindung zu seinem Land verliert.

Konzert mit Athil Hamdan, Mevan Younes (Buzuq) und Diala Hanana (Klavier) am 21. April, 19 Uhr, im Paul-Gerhardt- Stift, Müllerstraße 56 –58. Eintritt frei, Anmeldung per Mail an ute.koepp-wilhelmus @evangelisches-johannesstift.de

Zoya Mahfoud

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