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Kultur: Tackern, knipsen, kleben

Abstrakte Skulpturen: Das Georg-Kolbe-Museum zeigt, wie sehr sich zeitgenössische Bildhauer von den klassischen Materialien entfernt haben

Die Zeit der großen Gesten ist vorbei, in der abstrakten Skulptur herrschen Bescheidenheit und nonchalante Zurückhaltung. Setzungen wie Richard Serras Stahlwände, Matschinsky-Denninghoffs Landmarken aus blitzendem Chromnickelstahl sind heute undenkbar. So zumindest der erste Eindruck in der Überblicksausstellung „Abstrakt - Skulptur“ im Georg-Kolbe-Museum.

Ein Eindruck, den die Architektur des Hauses unmittelbar bestätigt. In dem kompakten, kubischen Ziegelbau der 20er Jahre wirken die Arbeiten aus jüngster Zeit, die Hauskurator Marc Wellmann versammelt hat, höchst fragil mit ihren gebogenen, zerborstenen und geknickten Formen, all ihren Löchern, Rissen, Bruchkanten und Zipfeln. Im Garten dagegen biegen und strecken sich Georg Kolbes sturm- und regenfeste Bronzemenschen – und erinnern daran, dass es einmal so etwas wie Vertrauen in die schöpferische Kraft gegeben haben muss. Und die hohen Kiefern machen deutlich, wie wenig heute die klassischen Naturmaterialien der Bildhauer eine Rolle spielen. Genauso wichtig wie Holz und Stein sind mittlerweile Plastik, Styropor, Papier und Polyester.

Überhaupt das Material: Es wirkt hier leicht, flexibel, alltagstauglich und ist für jeden erhältlich und erschwinglich. Zu den Werkstoffen, die die 22 beteiligten Künstler und Künstlerinnen einsetzen, zählen auch Heftklammern (Amélie Grözinger), Hosenbügel und Kabelbinder (Gereon Krebber), rostige Stangen eines Spielplatzgeräts (Manfred Pernice), Schallplatten (Gregor Hildebrandt) und leere Champagnerflaschen (Alicja Kwade). Zeitgenössische Künstler kleben, tackern, knipsen, löten. Nur wenige Arbeiten – wie etwa Thomas Scheibitz' Sandsteinrosette – erinnern daran, dass Bildhauer einst meißelten und schleiften, bis ihre Mühen nicht mehr zu sehen waren. Heute bleiben die Arbeitsschritte transparent. Und das Sichten der Kunstgeschichte gehört dazu. Formen aus Konstruktivismus, Surrealismus, Minimal und Konkretion versammeln sich in verkleinertem Maßstab, wie in einem Legoland oder Minidom.

Selbstverständlich gelten Wellmanns Thesen nur für einen kleinen Ausschnitt des zeitgenössischen Geschehens, daraus macht der Kurator gar kein Geheimnis. Vor vier Jahren präsentierte er im Georg-Kolbe-Museum figürliche, vor zwei Jahren kinetische Skulpturen. Auch zeigt er Arbeiten vornehmlich Berliner Künstler, viele Beiträge kommen aus Galerien und Privatsammlungen. Nicht zuletzt setzt die Kleinheit des Museums Grenzen. So ist vor allem Kunst zu sehen, die kaum Raum beansprucht, die weder auf die Straße noch in die Landschaft will und nicht erst mit Hilfe von Besuchern entstehen müsste. Wellmanns Auswahl präsentiert ein Mikromilieu, in dem sich alle Beiträge ihrer Zerbrechlichkeit zum Trotz behaupten können.

Tatsächlich treten die Beiträge der zwischen 1959 und 1980 geborenen Teilnehmer noch immer stattlicher und stabiler auf als viele Exponate der „5. Berlin Biennale“ von 2008 oder aktuell bei „Based in Berlin“. Doch denkt man an stoffliche, mitunter vergängliche Abstraktionen etwa von Aisha Khalid, Ernesto Neto und Francis Alys und an die vielen drängenden Farben und Formen aus dem Süden, die sich nicht mit Sockel und Saal begnügen, wirken Wellmanns Beispiele nicht nur schüchtern, sondern sogar verschüchtert, so, als müssten sie sich angesichts des weltweiten Willens zur Gestaltung an einem geschützten Ort ihrer Herkunft und Autonomie versichern.

Der Betrachter kann solche Überlegungen allerdings auch einfach beiseite lassen. Marc Wellmanns feinsinniges Arrangement hält hinter jeder Ecke eine neue Überraschung bereit und verwandelt das Georg-Kolbe-Museum in eine heitere Schule des Sehens.

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Charlottenburg. Bis 4. September, Dienstag - Sonntag, 10 - 18 Uhr

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