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Kultur: Talente hinter den Kulissen

Das Projekt ist so irrsinnig gut lanciert und so überfällig, dass man nicht anders als beruhigt sein kann. Geburtsort: Berlin, Atrium der Deutschen Bank, Unter den Linden.

Das Projekt ist so irrsinnig gut lanciert und so überfällig, dass man nicht anders als beruhigt sein kann. Geburtsort: Berlin, Atrium der Deutschen Bank, Unter den Linden. Geburtsname: "Akademie Musiktheater heute". Geburtsmusik: Benjamin Schweitzers "spätes Früh" für drei Baritone und Ensemble sowie Adriana Hölszkys "Hörfenster für Franz Liszt" in der virtuos-witzigen Interpretation der Pianistin Katrin Engelhardt.

Die Geburtshelfer: eine Handvoll jugendlicher Ex-Enthusiasten von der Humboldt-Universität (darunter Titus Engel und Viktor Schoner), Gerard Mortier, Ex-Intendant der Salzburger Festspiele, Christoph Stölzl, Berliner Ex-Kultursenator sowie die Kulturstiftung der Deutschen Bank (die betreffenden Damen und Herren sind unseres Wissens alle noch im Amt). "Talente von morgen" prangte in dynamischen Lettern auf der linken Stellwand des Podiums, "Gestalter von morgen" auf der rechten. Dazwischen: Eine in sanfte Beigetöne getunkte Fotografie, die von Weitem an einen Pas de deux aus Cherubinis "Médée" erinnern mochte (natürlich mit der Callas), aus der Nähe freilich eher an "Ben Hur" denken ließ oder an jene Schallplattenreklame, die da behauptet, dass in der Oper Männer noch ganze Männer und Frauen noch echte Frauen seien.

Zum Procedere: Ein 15-köpfiges, prominent besetztes Kuratorium (von Heiner Goebbels bis Udo Zimmermann, von Peter Jonas über Peter Konwitschny und Christoph Marthaler bis hin zu Zubin Mehta und Klaus Zehelein) hat aus über 150 Bewerbungen 15 Stipendiaten ausgewählt: Angehende Regisseure, Dirigenten, Dramaturgen und Intendanten (!), alle um die 30, die sich nun zwei Jahre lang praxisorientiert weiterbilden können. Aufführungs- und Festivalbesuche stehen auf ihrem Programm, "Hintergrundgespräche" mit Opernmachern sowie die Teilnahme an Wettbewerben und Kolloquien. Man wolle, so Vorstandssprecher Rolf Breuer, ganz bewusst den Nachwuchs "hinter den Kulissen" fördern.

Ein Bühnen- und / oder Kostümbildner freilich fand sich unter den brav im Gänsemarsch antrabenden Akademisten der ersten Stunde ebensowenig wie ein Light-Designer oder ein Technischer Direktor - unverzichtbare Theaterberufe, wenn es denn schon um nichts Geringeres gehen soll als um die Zukunft des Ganzen. Auch Architekten müssten dringend gefragt werden, sowie alle Arten von professionellen Vermittlern, Marketing-Leuten, Öffentlichkeitsarbeitern - und, pardon, wohl auch Kritiker, Journalisten. Überhaupt hinterließ solches schablonierte Sparten-Denken ein eher ungutes, anachronistisches Gefühl.

Den Festvortrag des Abends hielt Gerard Mortier, frisch gebackener Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg und amtierender Intendant der Ruhr-Triennale. Mit sanfter Stimme sprach er von Monteverdi, ohne den die "Fehlgeburt" Oper schwerlich bis heute überlebt hätte, von Hollywood und von Neapel, von seiner ganz persönlichen Abneigung gegen Ausgrabungen, und davon, dass die Zeiten, da die Oper sich an den Errungenschaften des Kinos oder Schauspiels hätte schadlos halten können, unwiderruflich vorbei seien. Künstlerpersönlichkeiten wie Platel und Marthaler, so Mortier, prägten längst den Begriff eines Musiktheaters der Zukunft. Ihre Aufführungen und Stücke trügen mehr als jede "Traviata", jede "Zauberflöte" dafür Sorge, die Oper als einen "Ort der Sensibilisierung" in unserem Bewusstsein zu verankern. Lars von Triers Ruf nach Bayreuth hingegen halte er, Mortier, eher für ein Etikett, für ein die Feuilletons erfreuendes Spektakel, "so lange jedenfalls, so lange nicht Björk persönlich auf dem Grünen Hügel in Erscheinung tritt."

Den Akademiepreis - den es nebst einigen Förderpreisen natürlich auch gibt - erhielt die Zeitgenössische Oper Berlin. Rüdiger Bohn, Sabrina Hölzer, Barbara Gstaltmayr und Andreas Rocholl nahmen ihn strahlend entgegen. Das Preisgeld finanziert den "Fab Four" ihre nächste Produktion: Adriana Hölszkys "Tragödia - der unsichtbare Raum" (Premiere 13. November, Hebbel-Theater), ein Musiktheater ganz ohne Sänger, auf 70 Liegen im dunklen Raum. Ein Experiment. Ein Wagnis. Tolle Musik. Die Zukunft?

Christine Lemke-Matwey

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