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Tanz: Kreuz und queer

Bei der Spielzeit Europa attackiert die furiose Tanztruppe DV8 die neue Schwulenfeindlichkeit. In "To be straight with you" berichten Lesben von Gewalt.

Von Sandra Luzina

Zu einem sparsamen Groove schlendert der gut aussehende Schwarze auf die Bühne und beginnt zu rappen: Der Brother skandiert wütende Reime in fürchterlichem Slang. Dann kapiert man: Sein Song ist eine Aufforderung zum Schwule-Verkloppen. Während der Macker noch seine Tiraden herausschleudert, kritzelt im Hintergrund ein anderer Mann eine Tafel voll mit Pfeilen und Begriffen: Batty Man steht da, ein Schimpfwort für Schwule. Die neue Produktion der britischen Gruppe DV8 Physical Theatre, ist eine politische Kampagne. „To be straight with you“ will aufklären und anprangern – und kommt mit einem Furor daher, wie man ihn lange nicht erlebt hat bei dieser Gruppe.

Seit sie 1986 die Londoner Szene betraten, agieren DV8 immer queer zum Mainstream. DV8 steht für Dance Video 8. Wenn man die Abkürzung entsprechend ausspricht, ergibt sich auch das Verb „deviate“ – abweichen. In den rabiat-physischen wie offensiv komischen Tanztheaterproduktionen drückte sich schwules Selbstbewusstsein aus. Die Gay-Thematik verband sich zumeist mit einem klassenkämpferischen Furor. Bei DV8 sah man den Aufstand der Unterdrückten, Unterprivilegierten und Ungeliebten.

Mit „Just for Show“, einer milden Farce über Schein und Sein, waren die zornigen Briten bei der vergangenen Spielzeit Europa zu Gast, diesmal präsentieren sie mit „To be straight with you“ eine Uraufführung. Hintergrund der neuen Produktion ist die zunehmende Verfolgung von Homosexuellen in Großbritannien. Die neue Homophobie hat auch Lloyd Newson, der Kopf von DV8, zu spüren bekommen: Denn der streitbare Choreograf und Regisseur wagte eine Untersuchung über Sexualität und die Grenzen der Toleranz. Für das Stück wurden Interviews mit 85 Personen geführt: Männern und Frauen, Gläubigen und Homosexuellen wie auch gläubigen Homosexuellen und Priestern. Viele der Befragten verleugnen ihre Sexualität aufgrund ihrer Glaubens- und Kulturzugehörigkeit. Andere berichten von Diskriminierung und Gewalt. Nur im Schutz der Anonymität waren sie bereit zu reden. Die Aufführung kommt also mit einem dokumentarischen Gestus daher. Und es war klar, dass Newson sich mit Fundamentalisten jeglicher Couleur anlegen würde.

Nun ist der Abend, so sehr die Performance den Zuschauer nach einer Weile auch in ihren Bann zieht, als Aufführung nicht unproblematisch: Hier werden teilweise homophobe Einstellungen vorgeführt wie aus dem Handbuch des Gay-Aktivisten. Konsequenterweise wird Peter Tatchell zitiert, einer der bekanntesten Protagonisten der britischen Schwulen- und Menschrechtsbewegungen. Mit Hilfe eines Weltatlas in 3-D mit unterschiedlichen Farbzonen wird man darüber aufgeklärt, dass Homosexualität in mehr als 80 Ländern auf der Welt kriminalisiert wird. 25 Prozent davon sind britische Exkolonien.

Hier wird der Abend brisant: Newson scheut sich nicht, den religiös motivierten Schwulenhass in Immigrantenkreisen zu benennen. Das Gebot der Political Correctness, nachdem eine Minderheit nicht eine andere attackiert, gilt nicht. Newson hat für die Produktion ein multi-ethnisches Ensemble gecastet. Es treten auf: die weiße Klemmschwester, die immer wieder versichert: „Ich bin nicht schwul, ich habe nur ein emotionales Problem.“ Die schwarzen Macker mit ihrem Killer-Reggae: „Boom bye bye, shoot a gay man in his head“. Die trotzige Afro-Lesbe, die von ihrer Familie verstoßen wird. Der Muslim, der seinen inneren Dschihad ausficht. Die Performer springen Seilchen und vollführen wilde Sprünge, wenn die Story sich dramatisch zuspitzt. Sie drehen Arabesken wie beim Bollywood-Dance. Oder sie nehmen in einer hölzernen Box mit Fenster Platz, die wie ein Beichtstuhl anmutet.

Viele dieser Geschichten gehen einem nahe, sie machen wütend, zumal die Performer glaubwürdig agieren. Doch die Storys werden hier aneinandergereiht und dadurch zu Fallbeispielen degradiert. Sexualität und Wahrheit: Die subjektiven Erfahrungen zwischen Bigotterie und heimlichem Begehren werden nicht vertieft. „To be straight with you“ ist somit ein flammendes Plädoyer für mehr Toleranz – bei der Uraufführung im Haus der Berliner Festspiele wurde DV8 denn auch begeistert gefeiert. Doch wo Newson den „clash of cultures“, die Zerreißproben in der britischen Gesellschaft thematisiert, da wirkt seine Perspektive doch beschränkt.

Haus der Berliner Festspiele, wieder heute, 20 Uhr.

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