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Szene eines Tänzers in den Uferstudios in Wedding

© Tanznacht

Tanznacht Berlin in den Uferstudios: Tänzer wie urbane Wilde

Volkstanz reloaded: Im Rahmen des Festivals "Tanz im August" verfiel die Tanznacht Berlin dieses Jahr in eine neue Form der Selbstinszenierung.

Von Sandra Luzina

Die Berliner Tanzszene kann sehr anhänglich sein. Die Tanznacht Berlin, bei der sich die Off-Künstler vorstellen, präsentierte sich auch in diesem Jahr wieder als Appendix des „Tanz im August“. Das Festival war noch nicht ganz zu Ende, da standen jungen Choreografen schon in den Startlöchern. 30 Performances an vier Tagen bot die achte Ausgabe, die von Heike Albrecht kuratiert wurde.

Um Aufmerksamkeit zu erzeugen, verfiel man diesmal auf eine neue Form der Selbstinszenierung. Auf den Hochglanz-Fotos des Tanznacht-Magazins muten die Tänzer an wie urbane Wilde, wie Angehörige verschiedener Stämme. In einem Beitrag von Franz Anton Cramer ist dann zu lesen, unter welch großem Innovationsdruck freischaffende Choreografen heute stehen – als wäre jeder von ihnen ein mittelständisches Unternehmen. Cramer wagt die These, dass sich die Tänzer, um der globalen Vermarktungslogik zu entkommen, heute wieder stärker regional verorten. Als neue Form von Volkstanz läuft hier etwa das kollektive Wippen zu Technoklängen auf dem Hof der Uferstudios, das Jolika Sudermann in „Pulse Aplenty“ inszenierte.

"Shoot First" hat mit dem Fall Michael Brown an Aktualität gewonnen

Auslöser für das Solo „Shoot First“ von Ricardo de Paula war die Tötung des 17-jährigen Trayvon Martin in Florida im Februar 2012. Durch den Fall Michael Brown hat das Stück eine beklemmende Aktualität gewonnen. Der Name des unbewaffneten 18-Jährigen aus Ferguson, der von einem weißen Polizisten erschossen wurde, steht nun neben den Namen von Martin Luther King, Malcom X und anderen. De Paula schreibt sie mit Kreide auf den Boden und legt sich auf das große X in der Mitte. Wenn er die Position des Körpers verschiebt, denkt man sofort an einen Tatort. De Paula tritt im Kapuzenpulli auf, sein Gesicht ist nicht zu erkennen. Das Stück führt die Macht rassistischer Zuschreibungen vor. In „Shoot First“ wird der Körper zur Projektionsfläche für unbewusste Ängste.

"Monumental": eine Hommage an Anna Pavlova

Martin Hansens Solo „Monumental“ ist eine Hommage an die russische Tänzerin Anna Pavlova, die mit ihrem Solo „Der sterbende Schwan“ berühmt wurde. Hansen geht auch der Frage nach, ob man Werke der Tanzgeschichte wiederbeleben kann. Doch ihn lähmt die Ehrfurcht vor dem Original, das am Ende doch arg Federn lassen muss.

Kat Válasturs Solo „Gland“ trägt den Untertitel „The marginal Sculptures of Newtopia“. Dass sie unbekannte Landschaften durchwandert, ist nicht zu erkennen. Sie schiebt sich immer an der Wand entlang, kippt dann die Raumperspektive um 90 Grad, liegt seitlich auf dem Boden und stützt die Beine ab. Valastur sucht Halt und zwängt sich in unkomfortable Positionen. Sie ist eine sensible Interpretin, doch das eher dünne Material wird arg zerdehnt. In „Hypnosis“ von Begüm Erciyas tritt der famose Hermann Heisig als Seelenflüsterer auf. Zunächst schickt er Joséphine Evrard und Nils Ulber auf eine imaginäre Reise, doch seine Suggestionen zielen auch auf das Publikum.

Bei der Hypnose ist das Gehirn überaus aktiv, so weiß man heute. Den Zustand fokussierter Aufmerksamkeit könnte sich auch das Theater zunutze machen, das war hier wohl die Idee. Eine gewisse Tiefenentspannung tritt auch ein. Doch der Versuch, das Publikum in eine kollektive Trance zu versetzen, scheitert. Eine gesteigerte Begeisterung für die Experimente der Tanznacht-Künstler konnte man bei den Probanden nicht feststellen.

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