zum Hauptinhalt
Tanz

© Tanz im August

Tanzfestival Berlin: Vielleicht für immer

Von den Rosas zu Meg Stuart: Am 17. August beginnt in Berlin der „Tanz im August“.

Von Sandra Luzina

Der 19. Ausgabe von „Tanz im August“ beginnt hochkarätig: Anne Teresa de Keersmaeker eröffnet morgen im Hau 1 das größte deutsche Tanzfestival mit einer wunderbaren Hommage an einen langjährigen Weggefährten, den amerikanischen Komponisten Steve Reich. Die belgische Choreografin war mit ihrer Compagnie Rosas schon so häufig beim „Tanz im August“ zu Gast, das man sie fast schon wie eine alte Freundin ansieht. Dem internationalen Tanzfest Berlin hat sie wiederholt Sternstunden beschert – sie hat die Zuschauer mit auf eine Entdeckungsreise genommen und dabei im Laufe der Jahre unterschiedliche musikalischen Kontinente durchstreift. Die Musik ist ihre wichtigste Inspiration – und ihre Lehrmeisterin, das betont de Keersmaeker immer wieder. Durch die Musik habe sie gelernt, Raum und Zeit zu organisieren, den Kontrapunkt herauszufinden und ihr Vokabular zu generieren.

Die minimal music von Steve Reich hat die Choreographin seit ihren Anfängen in den achtziger Jahren begleitet und ihr wichtige Impulse verschafft. „Fase – Four Movements to the Music of Steve Reich“ aus dem Jahr 1982 war ihre zweite Choreografie und ihr künstlerischer Durchbruch. Der „Steve Reich Evening“ umfasst neben älteren Werken wie „Piano Phase“ und „Drumming“ auch neue Choreografien. De Keersmaeker macht die transparente Logik der Musik sichtbar, ohne sie einfach nur zu verdoppeln. Die Tänzer kämpfen mal eigensinnig mit Reichs strengen repetitiven Strukturen kämpft, mal spielen sie mit ihnen und entwickeln eigene Variationen. Anne Teresa de Keersmaeker ist beim „Tanz in August“ auch als Tänzerin/Performerin zu erleben. In „Keeping Still – Part 1“ arbeitet sie mit der bildenden Künstlerin Veronica Janssens zusammen, die für die Solo-Performance eine Lichtskulptur entwarf.

Am zweiten Abend präsentiert sich dann mit LaLaLa Human Steps aus Kanada ein weiteres internationales Spitzenensemble. Èdouard Lock ist bekannt für seine Speed-Ballerinen. Ein aberwitziges Tempo und eine atemberaubende Virtuosität sind das Markenzeichen seiner Compagnie LaLaLa Human Steps. Für die neue Produktionen „Amjad“ ließ der Choreograf sich von den Klassikern „Schwanensee“ und „Dornröschen“ anregen, doch Lock lockt nicht mit romantischen Schwanenmädchen, seine Superwomen auf Spitze strahlen eine unterkühlte Erotik aus.

Bis zum 1. September präsentieren das Hebbel am Ufer und die TanzWerkstatt Berlin 20 Produktionen. Die Berliner Szene ist stark vertreten. Mit Claudia de Serpa Soares/Grayson Millwood und Nicola Mascia, der zusammen mit dem Israeli Matan Zamir als „Matanicola“ firmiert, bestreiten die Nachwuchschoreografen aus dem Ensemble von Sasha Waltz gleich zwei Abende. Eng verbunden mit dem Festival ist der belgische Bühnenexzentriker Michael Laub. In seiner „Portrait Series Berlin“ hat er mit Profis und nicht-professionellen Tänzern kurze Szenen entwickelt, die zwischen Authentizität und Fiktion changieren. Die Selbstportraits folgen dem paradoxalen Credo „I am a deeply superficial person“.

So stark, wie er beginnt, klingt der „Tanz im August“ am 31. August dann auch aus: Meg Stuart, die als artist in residence an der Berliner Volksbühne angedockt hat, hat sich für „Maybe Forever“ den Österreicher Philipp Gehmacher als Partner gewählt. Das Resultat ist ein berührendes Duett, das an die Intensität ihrer frühen Arbeiten anknüpft.

Philipp Gehmacher ist dafür bekannt, dass er tänzerische Gesten gnadenlos seziert, um einen Kern von Bedeutung freizulegen. Er zwingt uns, den tanzenden Körper neu zu betrachten. Seine Tänzer agieren an der Grenze zur Erstarrung. Meg Stuarts verzerrten, fragmentierte Körperbilder werden mit den Gemälden von Francis Bacon verglichen.

„Maybe Forever“ ist eine zart-intime Begegnung von zwei starken Künstlerpersönlichkeiten, zugleich eine Reflexion über Begehren, Körper und Sprache. „Es ist völlig unsinnig, heute noch romantisch zu sein“, spricht Meg Stuart einmal ins Mikro. Stuart und Gehmacher denken das „Für immer“ und das „Vielleicht“ zusammen und beleuchten damit ein aktuelles Gefühls-Dilemma: Die notorischen Zweifel, die abgeklärte Skepsis – doch bei allen Zurüstungen ist da immer noch die Sehnsucht nach dem großen Gefühl, nach einer Liebe, die Bestand hat.

Der Abend verbindet Tanz, Text und Live-Konzert: Der Singer-Songwriter Niko Hafkenscheid trägt seine traurigen Walzer unprätentiös vor – und zielt dabei mitten ins Herz. Keine Ironie! Und wenn Meg Stuart einen Sprechgesang vor dem Mikro anstimmt, spricht, dann streift sie schnell alle Coolness ab – sie hebt beide Arme hoch, Gehmacher zitierend, und ergibt sich. Liebe bedeutet immer auch: Kapitulation.

Die beiden Tänzer-Choreografen lassen sich Raum für ihre Andersartigkeit, sie sind keine künstlerische Symbiose eingegangen.Wie die Körper sich suchen und dann doch verfehlen bei der Umarmung, hat fast schon etwas Komisches. Vielleicht sehen wir den beiden Liebenden in „Maybe Forever“ bei ihrem letzten Walzer zu. Doch bei aller Melancholie besitzt der Abend eine überraschende Leichtigkeit. Die Fotografie auf der Rückwand der Bühne zeigt zwei überdimensionale Pusteblumen – deren Samen bald in alle Winde geweht werden. Und man wünscht sich, dass der Tanz der beiden niemals aufhört.

Infos: www.tanzimaugust.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false